Vampirmelodie
ich wollte – einfach nicht glauben, dass es etwas so Radikales wie ein Wechsel des Vampirregimes war.«
»Und was wurde aus Erica?«
»Sie war tot, noch ehe ich von dem Coup erfahren habe.«
Es schwang ein Unterton von Selbsthass mit in seiner Stimme.
»Wir haben unsere Grenzen«, sagte ich. »Wir könnennicht ganz akkurat jeden Gedanken in jedem Kopf zu jeder Minute lesen. Du weißt doch, dass die Leute nicht in ganzen Sätzen denken wie: ›Heute um zehn Uhr gehe ich zur Nationalbank, und wenn ich dort bin, stelle ich mich in der Schlange vor Judy Murellos’ Schalter an. Und dann ziehe ich meine .357 Magnum und raube die Bank aus.‹«
»Das weiß ich.« Der Sturm in seinem Kopf flaute wieder etwas ab. »Aber Joseph meinte, ich hätte es ihm wegen meiner Beziehung mit Erica nicht erzählt. Und dann tauchte Mr Cataliades aus dem Nichts auf. Ich weiß nicht, warum. Und ehe ich mich versah, hatte er mich mitgenommen. Keine Ahnung, warum er mich gerettet hat. Joseph hat ziemlich unmissverständlich deutlich gemacht, dass ich nie wieder für Vampire arbeiten würde. Er hatte schon begonnen, andere vor mir zu warnen.«
Ja, Mr C hatte Barry von seiner Blutsverwandtschaft mit ihm definitiv nichts erzählt. »Meinst du, Erica wusste von Bradys Plan?«
»Ja.« Barry klang müde und traurig. »Sie wusste bestimmt genug, um mich zu warnen, doch das hat sie nicht getan. Ich habe den Plan einfach nie in ihren Gedanken gelesen. Und es hat ihr bestimmt leidgetan, dass sie es mir nicht erzählt hat, bevor sie starb. Aber sterben musste sie so oder so.«
»Hart«, sagte ich etwas unangemessen, aber es war ernst gemeint.
»Wenn wir schon von hart sprechen, ich habe gehört, dass dein Vampir eine andere heiraten wird.« Barry konnte gar nicht schnell genug das Thema wechseln.
»Das weiß wohl schon die ganze Vampirwelt«, sagte ich.
»Klar. Freyda ist was Besonderes. Jede Menge Männer haben sich darum bemüht, bei Freyda eine Chance zu bekommen,seit bekannt ist, dass sie auf der Suche nach einem Prinzgemahl ist. Macht plus Schönheit plus Geld, und Möglichkeiten ohne Ende zur Entfaltung in Oklahoma. Casinos und Ölquellen. Mit einem Egomanen wie Eric hinter sich wird sie ein Imperium aufbauen.«
»Ist das nicht einfach reizend«, erwiderte ich und klang genauso müde und traurig wie er. Barry schien sehr viel tiefer in die Gerüchteküche der Vampirwelt eingedrungen zu sein, als ich es je war. Vielleicht hatte ich mich doch zu häufig »vor der Tür« herumgetrieben, statt »hineinzugehen«. Vielleicht lag mehr Wahrheit in Erics Vorwürfen, dass ich Vorurteile gegen die Vampirkultur hatte, als ich wahrhaben wollte. Aber Vampire benutzten Menschen nun mal, deshalb war ich vor allem einfach bloß froh, dass ich Eric nie von Hunter, dem Sohn meiner Cousine Hadley, erzählt hatte.
»Es gibt also noch einen von uns?«, fragte Barry, und die Frage traf mich schwer. Ich war so verdammt daran gewöhnt, die Einzige zu sein, die Gedanken lesen konnte. Im Nu hatte ich ihn am T-Shirt gepackt, und mein Gesicht war keine zwei Zentimeter von seinem entfernt.
»Wenn du nur ein Sterbenswörtchen über Hunter wem auch immer gegenüber verlierst, sucht dich eines Nachts ein wirklich grausamer Besucher heim, das schwöre ich dir«, drohte ich und meinte es mit jeder Faser meines Körpers. Mein Neffe Hunter würde in Sicherheit leben, und wenn ich selbst dieser grausame Besucher sein müsste. Hunter war erst fünf, und ich würde ihn nicht entführen und dazu abrichten lassen, irgendeinem Vampirherrscher zu dienen. Es war schon schwierig genug, erwachsen zu werden, wenn man ein Telepath war. Dauernd von Leuten umgeben, die ihn sich nur wegen des Vorteils schnappten, den er ihnen verschaffen konnte? Das wäre noch eine Million Mal schlimmer.
»Hey, lass los!«, rief Barry ärgerlich. »Ich bin hier, um dir zu helfen, nicht, um alles noch schlimmer zu machen. Cataliades muss doch Bescheid wissen.«
»Halt einfach die Klappe über Hunter«, sagte ich und trat einen Schritt zurück. »Du weißt, was es bedeutet. Darüber, dass Mr Cataliades es herumerzählen könnte, mache ich mir keine Sorgen.«
»Okay«, erwiderte Barry und entspannte sich ein wenig. »Du kannst sicher sein, dass ich die Klappe halte. Ich weiß, wie schwierig es als Kind ist. Ich schwöre, dass ich es niemandem erzähle.« Er stieß einen langen Atemzug aus, um die ganze Aufregung loszuwerden. Ich auch.
»Weißt du, wen ich vor zehn Tagen in New Orleans gesehen
Weitere Kostenlose Bücher