Vampirnacht
»Nein, nur diejenigen, die ein hohes Alter erreicht haben und beschließen, ihrem Leben ein Ende zu setzen, und jene, die als Gäste hierher eingeladen werden. Menolly, du unterdrückst dich selbst. Du vergeudest gewaltige Energie darauf, dich deiner wahren Natur zu verweigern, und das ist gefährlicher, als zu akzeptieren, wer du bist.«
Während sie mir ins Ohr flüsterte, spürte ich Schweiß über meinen Körper rinnen. Seit meiner Erweckung hatte ich nicht mehr geschwitzt. Ich blickte an mir herab, und es waren blutige Tropfen, die mein weißes Gewand tränkten.
»Ich darf ihr nicht nachgeben. Es ist zu gefährlich. Ich weigere mich, meine Freunde anzugreifen, eine animalische Jägerin in der Nacht zu werden.«
»Das musst du auch nicht«, flüsterte sie. »Aber du musst voll und ganz akzeptieren, was du bist, und dir deine Natur zu eigen machen. Du musst dich von jeglichem Rest Zweifel und Reue befreien, wenn du endlich die Vampirin werden willst, zu der du bestimmt bist. Du bist zur Hälfte Fee, ja, und zur Hälfte Mensch, aber du bist
ganz Vampirin.
Du trinkst das Blut von Tieren, statt dir Bluthuren zu halten. Warum?«
»Weil das abscheulich ist – die Verantwortung für ihr Leben läge in meiner Hand. Was, wenn ich einen Fehler mache? Was, wenn ich mich nicht beherrschen kann? Wenn ich jemanden verletze, den ich liebe?«
»Eine Bluthure lebt, um zu dienen.«
»Ich werde mir keinen Stall halten.« Ich begann zu weinen. Blutige Tränen rannen mir über die Wangen. »Ich finde allein die Vorstellung grässlich. Ich finde es grässlich, dass Roman es tut. Es ist mir …«
»Es ist dir ein Greuel? Aber auch du nährst dich von Menschen. Du bist keine Heilige.«
Ich wollte das nicht mehr hören. Ich hielt mir die Ohren zu und schrie sie an: »Ich nähre mich vom Abschaum, von denen, die anderen schaden, die morden und verstümmeln – denjenigen, die niemals erlöst werden, weil sie nicht einmal mehr bereuen können.«
»Dann bist du ihr Richter, Menolly, und dennoch verurteilst du jene, die uns aus freiem Willen etwas von sich schenken, damit wir leben können?« Blodweyn packte mich an den Handgelenken und drehte mich um, so dass ich in den Schleier blickte, der vor uns wehte. »Schön, du willst dir also keine Bluthuren halten. Aber solange du dich nicht in den Schleier stürzen und dein wahres Wesen begreifen kannst, wirst du immer vor dir selbst davonlaufen. Bis dahin kannst du kein Teil meiner Blutlinie sein.«
Damit war mir klar: Sie würde mich töten, wenn ich nicht in den Schleier ging. Voller Grauen –
was würde das Ding mit mir machen? Wozu würde es mich machen?
– versuchte ich den Blick abzuwenden, aber sie stieß mich vorwärts.
»Tritt ein in deine wahre Natur und lerne. Oder du wirst vernichtet. Das ist deine Entscheidung.«
Sie riss mir das Kleid vom Leib, und ich weinte. Nackt stolperte ich vorwärts. Es gab keinen Spielraum mehr. Entweder trat ich durch den Schleier – stürzte mich ins Unbekannte –, oder ich ließ mich von Blodweyn töten.
»Versprecht mir eines.« Ich wandte mich ihr zu und straffte die Schultern.
»Du bittest mich um einen Gefallen, Mädchen? Nun, was willst du?« Sie musterte die schimmernden Narben, die meinen Körper überzogen, und zuckte mit keiner Wimper.
»Wenn ich zu dem Raubtier werde, das ich fürchte … Versprecht mir, dass Ihr Roman dann befehlen werdet, mich zu pfählen, und dass meine Familie von meinem Schicksal erfährt.« Ich hielt mich sehr aufrecht und sah ihr fest in die Augen. Ob ich damit nun die Etikette brach oder nicht, war mir egal.
Blodweyn nickte langsam. »Abgemacht.«
Ich wandte mich wieder dem Schleier zu. Er wellte sich wie ein Wasserfall, und ich fühlte mich wie eine Todgeweihte, als ich eine Hand ausstreckte, um das schimmernde Energiefeld zu berühren. Und dann trat ich durch den Schleier …
Die Welt war nicht mehr.
Alles war weg, alle waren fort, es gab nur noch mich inmitten dieser Energie, die mich in Wellen umtoste. Ich hatte erwartet, dass ich den Verstand verlieren und der Blutgier ausgeliefert sein würde, doch stattdessen klärte sich mein Geist, und ich zitterte. Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit spürte ich die Kälte.
Ein kühler Regen fiel auf mich nieder, doch dieser Regen war Blut. Es rann an meinem Körper herab, und die Rinnsale fanden meine Narben, kleine Kanäle über meinen Körper. Ich sah das Blut fließen, und ausnahmsweise löste der Geruch keinen Durst aus. Ich hätte
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