Vampirzorn
zurück und nach unten. Ein kleiner Hügel entstand, hob sich aus dem losen, unebenen Boden. Gleich darauf wurde die Erde nach allen Seiten geschleudert, und ein lepröser, pulsierender, grünlich-grauer Fangarm oder vielmehr vorübergehend ausgebildeter Tentakel kam in Sicht. Er wurde immer dicker, wuchs wie eine eigenartige Bohnenstange in die Höhe und bildete ein wässriges, primitives Auge aus. Was das Wesen sah – sofern es überhaupt im allgemein üblichen Sinn dieser Worte etwas »sah«, »erkannte« oder im Gedächtnis »behielt« –, vermochte Drakesh nicht zu sagen. Doch was es erspürte, war Nahrung! Die Innereien in seinem Schoß, vielleicht sogar Drakesh selbst.
Der Tentakel wurde womöglich noch dicker, und Drakesh fühlte, wie durch die Erde rings um ihn ein Beben lief. Das Auge löste sich auf, an seiner Stelle bildeten sich gesichtslose, klaffende Kiefer und zwei Reihen von Zähnen, die länger und länger und schließlich, noch während Drakesh hinsah, zu Reißzähnen wurden. Während das trockene Erdreich zu seinen Füßen gleich an einem Dutzend weiterer Stellen aufplatzte und sich windende Fortsätze daraus erhoben, die ihn regelrecht einsperrten, schwang sich der armartige Tentakel oder vielmehr Körper des Wesens mit den weit aufgerissenen Kiefern, aus denen eine gelbe, samengleiche Flüssigkeit tropfte, zu ihm ...
... In diesem Moment öffnete der Oberste Vampir seinen Geist und gab zu erkennen, wer er war.
Genug!, sagte er. Bis hierher und nicht weiter!
Es war, als habe er dem Wesen einen Stromstoß versetzt. Die zuckenden Fangarme wurden zurückgezogen und verschwanden wieder in der Erde, so schnell, dass einer von ihnen mit einem Knacken entzweiging. Aus der Wunde schoss eine gelbliche Flüssigkeit, und zurück blieb die Spitze, die sich wie eine Blindschleiche auf dem Boden hin und her wand. Drakesh trat danach, und das Ding huschte außer Sicht. Hinter ihm sank der gut schenkeldicke Hauptarm in sich zusammen und verschwand mit einem schmatzenden Geräusch, so, als zerquetsche man eine reife Frucht oder spüle etwas den Abfluss hinunter, wieder in seinem Loch. Innerhalb weniger Sekunden war alles, was zurückblieb, eine Wolke üblen Gestanks, die aus den bebenden, zusammensackenden Erdhügeln drang; nur hier und da war im Boden noch eine Bewegung auszumachen, so, als wühlten sich dort in Panik geratene Maulwürfe hindurch. Dann trat wieder Ruhe ein.
Drakesh lächelte noch immer, denn er spürte die Furcht des Wesens. Was ihm nur recht war. Indem er den Topf umdrehte und dessen widerlichen Inhalt auf das trockene Erdreich schüttete, sagte er: Wisse, wer ich bin. Ich bin der Drakul, dein Gebieter, und ich bin gut zu dir. Du hast keinen Verstand, weißt nichts und vermagst nicht zu denken. Aber das macht nichts, denn ich übernehme das Denken für dich. Du weißt nicht, wohin oder was tun, aber das brauchst du auch nicht, denn ich fälle die Entscheidungen für dich. Ohne die Nahrung, die ich dir bringe, könntest du nicht überleben, aber du wirst nicht sterben, so lange ich es nicht will. Und du kannst weit mehr sein, als du jetzt bist. Deine Brüder – die aus dir erwachsen sind, so wie du aus mir – in meinen Wandlungsbottichen regen sich bereits. Ich habe sie erhöht, und vielleicht werde ich auch dich erhöhen ... oder dich vernichten. Auch wenn du dich an nichts sonst erinnerst, würdest du gut daran tun, dies im Gedächtnis zu behalten.
Er ging zum Ausgang, hielt inne und blickte noch einmal zurück. Nun nähre dich und sei dankbar. So sei es.
Doch als das stumpfsinnige, krakenartige Ding, dieser lebendige oder vielmehr untote Auswuchs metamorphen Gewebes aus dem Boden emporglitt und sich auf sein Futter stürzte, sandte Drakesh einen Gedanken wie einen Peitschenhieb, und das Wesen erstarrte auf der Stelle, als sei es mit einem Mal zu Stein geworden: Halt ein! Und vergiss nicht: Dieser Ort gehört dir. Aber alles außerhalb davon (mit dem Fuß zog er eine Linie vor dem Ausgang der Höhle) gehört mir. Bis hierher, und keinen Schritt weiter ...
Anschließend schaute er bei seinen Wandlungsbottichen vorbei, gewaltigen, aus dem massiven Fels gehauenen Becken in einer nahe gelegenen Höhle, die womöglich noch finsterer war als die Kaverne mit dem Protoplasma. Im Dunkeln gediehen seine Kreaturen am besten, insbesondere jene, die er zu wahren Kriegern ausersehen hatte. Ungeheure Mischwesen, die in den Bottichen heranwuchsen; sie sollten die ersten von Drakeshs zahllosen
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