Vampyr
und schon beginnen mir die Dinge über den Kopf zu wachsen.
»Versuchen wir es«, seufzte sie, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie versuchte sich zu entspannen, doch die Unruhe wollte nicht von ihr weichen. Düstere Schatten krochen aus ihrem Geist empor und erfüllten sie mit Furcht. Deutlich sah sie die nächtliche Kreatur vor sich. Zum ersten Mal erinnerte sie sich an die Worte, die sie während der Audienz gehört hatte. Wir fanden ihn in einem verlassenen Haus. Vollkommen blutleer. Catherine zwang sich, die Bilder und Gedanken zu verdrängen. Als sie die Augen wieder öffnete, zogen sich die Schatten zurück. Doch sie wusste, sie lauerten weiterhin in ihrem Verstand.
Es gab noch etwas anderes, das sie seit ihrer Rückkehr belastete. Sie sah auf. »Ich will Vaters Grab sehen.«
»Das geht nicht. Nicht jetzt.«
Furcht streckte ihre langgliedrigen Finger nach ihr aus. »Er hat doch … er ist doch …«
»Ja, er ist tot und begraben. Alles, was ich damit sagen wollte, ist, dass sich die Leute fragen würden, warum ausgerechnet ich dorthin gehe. Und wenn du allein gehst, würden sie sich fragen, was mein Bursche dort zu suchen hat.« Er sah sie lange an, als forschten seine Blicke in ihrem Herzen. »Zum Teufel mit den Leuten. Gehen wir.«
*
»Alles in Ordnung?«
Nur leise drang Daerons Stimme an ihr Ohr. Erst jetzt bemerkte Catherine, dass sie stehen geblieben war, die Augen starr auf das Grab zu ihren Füßen gerichtet. Roderick Bayne verkündete die schmucklose Inschrift auf dem einfachen Holzkreuz. Unter dem mit Frost überzogenen Erdhügel lag ihr Vater. Bestattet an einem Ort, an dem nur die übelsten Verbrecher ruhten – im abgelegensten Teil des Friedhofs von Asgaidh, durch dichtes Gestrüpp von den hübsch angelegten und gepflegten Gräbern im vorderen Teil getrennt. Ein Ort, so ehrlos wie das Leben, das er geführt hatte. Was ist nur aus dir geworden?
Früher hatte er oft mit strahlenden Augen davon gesprochen, wie Bruce MacKay ihn nach Dun Brònach geholt hatte, damit er ihm als Berater zur Seite stünde. Sie waren nur weit entfernte Verwandte gewesen, doch ihre Freundschaft hatte sie wie Brüder aneinander gebunden. Mit dem Tod von Catherines Mutter war das Leuchten in den Augen ihres Vaters erloschen. Er hatte sich um Catherine gekümmert, hatte ihr alles gegeben, was sich ein junges Mädchen nur wünschen konnte, nur eines war er ihr nicht mehr gewesen: ein Vater. Er hatte sie aus seinem Leben ausgeschlossen, besonders wenn es um seine Aufgaben als Berater des Earls ging. Seit sie das Gespräch über den Tod des Earls und seiner Frau mit angehört hatte, wusste sie auch warum. Bis zu jenem Tag war er für sie unantastbar gewesen. Niemals hätte sie seine Ehre in Frage gestellt. Und jetzt liegst du in einem Grab, fernab der Herrschergruft, zwischen Mördern und Verbrechern.
»Alles in Ordnung?«, fragte Daeron noch einmal.
Da sie nicht sicher war, ob sie ihrer Stimme trauen konnte, nickte sie nur, ohne den Kopf zu heben. Sie hatte gesehen, was sie sehen wollte – sehen musste. »Danke.« Ein sehr leises Wort, von dem sie nicht wusste, ob es ihn erreichte. Seit sie die Wahrheit kannte, hatte sie ihren Vater gehasst. Sie war entsetzt, dass sich jetzt, da sie an seinem Grab stand, auch eine Spur Trauer in ihre Verachtung mischte.
Einmal mehr war es Daerons Stimme, die sie in die Welt zurückholte. »Wenn alles vorüber ist und du diese Verkleidung«, er strich über den Stoff ihres Plaids, »nicht länger benötigst, wirst du dann bleiben?«
Catherine schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
Wie kann er das fragen? »Wie soll ich …? Ich kann Martáinn und all den Menschen hier nicht mehr unter die Augen treten. Nicht nach allem, was geschehen ist.«
»Du hast nichts getan«, entgegnete er fest. »Es waren seine Taten, nicht die deinen! Dafür kannst du dir unmöglich die Schuld geben!«
»Aber ich habe ihn geliebt. Ich habe einen Vater geliebt, der zu derartigen Abscheulichkeiten fähig war. All die Jahre habe ich nicht bemerkt, wie er wirklich war. Vielleicht wollte ich es ja nie sehen. Was sagt das über mich?« Die Scham war plötzlich übermächtig, drohte sie innerlich zu zerfressen.
»Gar nichts.« Daeron kam noch ein wenig näher. »Sieh mich an.« Als sie nicht reagierte, legte er seine Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an. Sie wich seinem Blick aus. »Sieh mich an. Bitte, Catherine«, sagte er so eindringlich, dass sie nicht mehr anders konnte. Obwohl er
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