Van Helsing
zwar mit seiner Klinge verletzen, ohne Silber aber nicht töten.
Auch ihrem Bruder schien das klar zu werden, und er schrie erneut: »Anna, lauf, verschwinde von hier!«
Nein, dachte sie. Wenn ich gehe, wird Velkan allein zurückbleiben, und dann wird es nur noch eine Frage der Zeit sein. Ich mag ein Kind sein, doch ich bin nicht völlig hilflos, und das da vorne ist mein Bruder.
Anna rappelte sich auf und griff in die Tasche nach ihren Wurfsternen. In diesem Moment wurde Velkan rücklings zu Boden geschleudert, und sofort war das Monster über ihm.
Zeit nachzudenken blieb Anna nicht. Sie packte die Sterne mit ihrer linken Hand, wechselte sie nacheinander in ihre rechte und ließ sie fliegen.
Eins... zwei... drei... vier... fünf... sechs.
Der Werwolf brüllte vor Schmerz und fuhr zu ihr herum. Sofort sprang Velkan auf und stieß mit seinem Schwert zu. Die Klinge bohrte sich in den Rücken der Kreatur und kam vorne wieder heraus. Sie heulte, griff nach der Waffe und entriss sie Velkans Griff.
Wie wild drehte sich das Monster im Kreis, zog von vorne und hinten an dem Schwert, doch das rührte sich nicht. Anna spürte einen Funken Hoffnung. Velkan hatte es sichtlich schwer verletzt.
Aber das reichte nicht. Nicht mit hundert stählernen Schwertern würden sie das Ungeheuer töten können. Sie brauchten Silber ... einen Silberdolch.
Anna suchte die Lichtung nach dem anderen Werwolf ab. Einen verrückten Moment lang glaubte sie, dass er verschwunden sei, bis sie entdeckte, dass er sich verwandelt hatte. Anstelle des Monsters lag ein Junge von vielleicht dreizehn Jahren auf dem Boden, mit dem Messer ihres Bruders in der Brust.
Er ist kaum älter als ich, dachte sie. Doch sie verdrängte diesen Gedanken, rannte zu dem Jungen und zog den Dolch heraus. Der ältere Werwolf hatte es mittlerweile aufgegeben, sich von dem Schwert zu befreien. Schwankend belauerte er Velkan, näherte sich ihrem Bruder gefährlich. Konnte sie es von hier aus mit dem Dolch treffen? Nein, sie war zu weit entfernt. Um es auf der Stelle zu töten, musste sie direkt auf sein Herz zielen; ansonsten würde es lange genug leben, um ihren Bruder zu töten oder gar zu beißen ... und ein Biss war schlimmer als der Tod.
»Velkan!«, schrie Anna nur und warf ihm das Messer zu. Es überschlug sich im Flug. Velkan streckte die Hand aus.
Wenn er es verfehlt..., bangte sie.
Aber Velkan fing das Messer auf. Er holte mit dem Arm aus und warf es, ohne zu zögern.
Der Dolch bohrte sich in die Brust des Werwolfs. Er hatte kaum Zeit, nach dem Messer zu greifen, schon brach er tot zusammen. Anna beobachtete mit grausiger Faszination, wie das Untier die Gestalt eines Mannes in Papas Alter annahm. Einen Moment später verschwand das Fell der Kreatur und ließ nur den Mann zurück.
Velkan war vor ihr und packte sie mit besorgtem Blick an den Schultern. »Bist du verletzt? Hat er dich verletzt? Hat er dich gebissen?«
Anna schaute kurz an sich hinunter: Kratzer und Blutergüsse, aber keine Schnitte und, wichtiger noch, keine Bisse. »Nein, ich bin ... okay.«
Ihr Bruder brauchte einen Moment, bis er das alles verarbeitet hatte, und Anna wartete darauf, was als Nächstes kommen würde: das Geschrei, die Vorwürfe. Sie verdiente sie. Aber als sie das Gesicht ihres Bruders betrachtete, geschah etwas, das sie mehr schockierte als alles andere in ihrem jungen Leben: Velkan brach in Tränen aus. Er umarmte sie fest und fiel auf die Knie. »Ich dachte, wir hätten dich verloren ...«, sagte er zwischen den Schluchzern.
Anna drückte ihren Bruder an sich, und ihre eigenen Tränen vermischten sich mit seinen. Im Stillen betete sie um seine Vergebung und schwor sich und Gott, dass sie Velkan oder den Rest der Familie nie wieder enttäuschen würde.
Velkan ..., dachte Anna, als sie erwachte. Er war am Leben! Sie hatte ihn gesehen, gerade erst!
Nein, es war nur ein Traum. Obwohl sie seit dem Tod ihres Bruders jede Nacht Visionen von ihm gehabt hatte, quälte diese sie doch am häufigsten.
Das ergab Sinn. Es war das erste Mal gewesen, dass sie ihre Familie und ihren Bruder enttäuscht hatte. Das zweite Mal war vor einem Monat gewesen, als Velkan mit seinem Leben bezahlt hatte. Heißer Kummer durchströmte ihren Körper. Wie an jedem Morgen in diesem Monat – dem letzten Zyklus des Mondes – spürte sie erneut, wie ihr Bruder starb.
Anna schüttelte den Schlaf ab. Irgendetwas stimmte nicht. Es war noch immer dunkel. Was machte sie hier? Sie sollte draußen sein
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