Vanilla High (German Edition)
auch ein gewisser Reiz aus, der mir unheimlich ist, aber vermutlich würde ich Jahrhunderte lang einer solchen Beziehung nachtrauern oder sie mir jedenfalls wünschen, weil sie mir auch in meiner Unsterblichkeit verwehrt bliebe. Ich wäre unsterblich lange frustriert. „Woran denkst du?“, fragt Paul. „An deine neue Kollegin, wie heißt sie noch, an Denise, und dass du nie erwachsen werden willst." - „Heißt Erwachsensein zu lernen auf das schöne zu verzichten?“, fragt er. Im Grunde verhalte ich mich auch nicht wie ein Erwachsener. Die regelmäßige Kante, die ich mir abends gebe, spricht die für Reife? Ich denke an alte ausgemergelte Männer aus Ostasien, die dem Opiumrausch verfallen sind. Die Suche nach Rausch und einem zeitweise inneren Frieden scheint keine Frage des Alterns zu sein. Ich, als potenziell Unsterblicher würde mich jeden Abend besaufen und mich der tröstenden und heilenden Wirkung von Ganja anvertrauen, jeden Abend mein ganzes unsterbliches Leben lang, weil ich sonst mein Leben nicht aushalten könnte. Oder irre ich mich? Ich bin mir eigentlich bewusst, dass ich überhaupt keine Ahnung habe, von nichts. Ich habe keine Ahnung! Von nichts! Ich schiebe mir nach dem Dessert einen meiner Kekse nach, biete wie immer Paul einen an, der wie immer dankend ablehnt. Ich habe ihm schon öfters von der aphrodisierenden Wirkung des Ganja vorgeschwärmt, aber er hat es immer abgelehnt. Es waren aber auch immer Abende ohne die obligatorischen Models, die es irgendwo geben musste, die aber nie unsere Gesellschaft suchten. Die fette Mama wünscht uns noch einen schönen Abend. Wir trotten die wenigen Meter zu Pauls Wohnung. Ein paar Sterne sind sichtbar. Paul fängt ein wenig an zu keuchen, da wir ein paar Meter an Höhe gewinnen müssen. Ich bin ihm dankbar, dass wir die vierhundert Meter nicht mit dem Wagen gefahren sind. Noch die Treppe, er kennt das natürlich, und seine Lunge sucht nach Sauerstoff. Oben angekommen lässt er sich in einen seiner Sessel fallen. Wenn er die Prozedur über sich ergehen lässt, wird er einige Kilo abspecken, aber wie ich ihn kenne, sind die dann schnell wieder drauf. Er legt „More“ von Pink Floyd auf. Auf dem Bildschirm laufen zufällige Sequenzen aus dem gleichnamigen Spielfilm. Es wird noch ein paar Minuten dauern, bis das Ganja anfängt zu wirken. „Arul, du solltest auch die Prozedur über dich ergehen lassen. Dann können wir in hundert Jahren hier sitzen und werden auch hin und wieder Pink Floyd hören. Wäre das nicht schön?“ Ich zünde mir ein Zigarillo an. Ich darf in seiner Wohnung rauchen. Er hat sogar irgendwann einen Aschenbecher für mich besorgt. Er weiß, dass ich es nicht übertreibe. „Paul, das ist wider die Natur“ - „Wenn wir uns der Natur überlassen würden, ohne Hygiene und Medizin, hätten wir eine Lebenserwartung von fünfundzwanzig Jahren. Alles hier um dich herum ist unnatürlich, auch dein Auto. Wie viel Medizin ist Medizin genug?“ An dieser Frage beißt sich die katholische Theologie auch fest. Traditionell war sie ja auch so eingestellt, das Leben zu verlängern. Wo es möglich war, war man immer dagegen die Apparate abzuschalten, aber mit der Möglichkeit der Tabok, die Zellen so zu verändern, dass sie mit einer Teilung nicht mehr alterten, waren sie umgeschwenkt. Dieser Eingriff war ein Eingriff in das Werk und die Absicht Gottes. Ich habe stundenlang mit Jesuiten diskutiert. Dass wir uns in einem theoretischen Dilemma befanden, war uns klar, aber sie suchten das Dilemma feinzüngig mit allgemeinen Erklärungen zu umschiffen, was auch auf mich nicht ganz überzeugend wirkte. Die Jesuiten standen in der Diskussion mit den anderen Mönchen und natürlich auch mit den Tabok. Teile der Brahmanen hatten die Position der Tabok angenommen. „Wenn du konsequent wärst, würdest du dir eine Gesellschaft wünschen, in der man spätestens mit 50 die Todespille bekäme. Menschen ohne Kinder wie wir schon früher, um Platz für junges Leben zu schaffen. Willst du das?“
„Du bist völlig unmöglich Paul, der reinste Demagoge.“ Selbstverständlich habe ich schon öfters den gleichen Gedanken gedacht und mich vor ihm gegruselt. „Die Gesellschaft, niemand in ihr hat das Recht ihre Mitglieder zu töten.“ - „Aber sie hat deiner Meinung das Recht ihre Mitglieder am Weiterleben zu hindern.“ - „Verstehst du denn nicht das höhere Ganze. Dieser Eingriff ist ein Verstoß gegen die göttliche Ordnung.“ Er unterdrückt es, mich
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