Vanilla High (German Edition)
Mir fällt hier in Kanada auf, dass ich viele Fragen an sie habe. Gibt es unter ihnen Selbstmörder und wenn ja: Wie hoch ist die Rate? Wie war ihre Kultur, als sie noch sterblich waren? Erstaunlicherweise kann man darüber nichts finden. Offensichtlich reden die Tabok nicht gerne über sich. Es sind keine Missionare, aber sie haben mit erschreckender Effizienz begonnen, das Projekt „Ewige Jugend“ auf unserer Insel zu realisieren. Vielleicht glauben sie, dass der Kosmos friedlicher wird, wenn die Individuen einer Spezies nicht mehr sterben. Keiner opfert sich mehr fürs Vaterland, die Welt ist im Gleichgewicht, und so weiter und so fort. Vielleicht sind die Menschen erst reif für die interstellare Raumfahrt, wenn sie nicht mehr sterben. Aber wäre es andersherum nicht genauso denkbar, dass eine unsterbliche Spezies auf Kosten anderer sich gnadenlos ausbreitet und jede Konkurrenz vernichtet? Diese Spezies könnte eine Zeit lang Nachwuchs haben, aber es müsste immer mehr Lebensraum erobert werden. Die Tabok sind offensichtlich nicht so. Aber ihre Absichten bleiben unklar. Vielleicht kann ich, Arul, ein bisschen Licht schaffen, vielleicht mit Charme, den mir das Ganja gibt, vielleicht macht die Vanille meines Bruders sie ja gesprächiger, im tropischen Park unter südlichem Himmel. Ich sehne mich nach diesem Park, wünschte, dass ich hier schon alles hinter mir gelassen hätte, aber alles steht noch bevor, und es gibt ein unbekannt großes Risiko, dass ich den Park meines Bruders nie wiedersehe. Ich kann noch alles stoppen. Der Ärger beim LCL wäre sicher groß. Ich weiß nicht, ob Elisabeth damit klarkäme. Könnte sie mir verzeihen? Ich habe etwas Angst, nein, ganz erhebliche Angst. Ich werde mir noch alles überlegen, jetzt, da die Randbedingungen des Anschlags halbwegs klar sind. Ich möchte mich in Träume flüchten. Das Ganja nimmt mir auch die Angst. Ich möchte Träume und sexuelle Exzesse. Vielleicht läuft mir im Hotel Pacific eine Journalistin namens Alina Magdalena über den Weg. Ich neige dazu, mich zu wiederholen.
Ich werde den alten Mann in etwa zehn Minuten treffen, in seinem Haus in der Baker Street 25, fernab der Wolkenkratzer von Vancouver. Er lebt dort mit seiner ersten Frau, die ein ähnliches Alter haben muss wie er selbst. Aubrey de Grey ist 85, der Aubrey de Grey, der zum Jahrhundertwechsel das Methusalemprojekt ins Leben gerufen hatte, weil er nicht sterben wollte. Zuerst ging es um Methusalem-Mäuse, er organisierte ein Preis für die Biodesigner, die die Lebensspanne einer Maus verxfachten. Er entwarf ein theoretisches Konzept, wie die Menschen zu Methusalems werden konnten; ein Quereinsteiger, der Informatik studiert hatte. Ich folge den Lenkradbewegungen des Ford, der nur automatisch in Vancouver fahren darf. Der Ansatz von Aubrey de Grey ging nicht auf. Nun gibt es einen neuen, den der Tabok, viel radikaler, als alles, was sich de Grey vorgestellt hatte. Die Tabok haben sein Lebensziel erfüllt. Ich werde dem alten Mann nicht an die Gurgel gehen. Ich werde ihn nicht umbringen. Die Bombe und Lizzys Rucksack befinden sich immer noch im Kofferraum des Fords. Ich habe mir das ganze Zeugs angesehen, diesen Schnickschnack, den ich brauche, um den Anschlag durchzuführen. Der Ford erreicht sein Ziel, findet selbständig einen Parkplatz, an denen es in dieser feinen Wohngegend nicht mangelt, und parkt in unmittelbarer Nähe seines Hauses. Nervös betätige ich die Hausklingel. Irgendwo steht mit Sicherheit eine Kamera, die ein Bild von mir, dem Besucher, macht. Es öffnet mir ein alter Mann, der Aubrey de Grey sein muss. Er streckt seine Hand aus und ich stelle mich vor: „Arul Ramassamy, vom Memento, La Reunion“ - „Kommen sie rein, ich freue mich auf sie.“ Der Mann ist greis, trägt das noch vorhandene Kopfhaar immer noch lang, trägt immer noch diesen imposanten Bart, der mich gleich an eine biblische Figur denken lässt. Er führt mich in das Wohnzimmer seines Raumes, das in einem alten konservativen Stil eingerichtet sein muss. Ich setzte mich in einen der hellbraunen Ledersessel. „Ich könnte ihnen einen Drink anbieten, ein Bier oder Ähnliches. Wie kommen sie mit unserer Prohibition zurecht?“ - „Sehr schlecht, ich bin leidenschaftlicher Weintrinker“ - „Wein habe ich keinen im Haus, aber Bier, höchst illegal“ - „Setzen sie
Weitere Kostenlose Bücher