Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
Sie küsst Caterina und tut, als hätte sie es nicht gehört.
Der Slogan von Romina Bianchis Wahlkampagne lautet: »Gemeinsam für die Zukunft«. Dahinter stecke die Grundidee, dass man sich mit den einfachen Leuten solidarisieren wolle, sagt Elisa. »Das ist ja eine ganz neue Erfahrung für deine Freundin«, kommentierst du, doch der ironische Unterton entgeht deiner Frau. In einer Woche plant Romina eine Wahlveranstaltung auf einem kleinen Antikmarkt. Die übliche Anhäufung alter Kommoden, angeschimmelter Stiche, sowjetischer Orden und bunter New-Age-Kerzen, die ekelhaft stinken.
Deine Frau darf da natürlich nicht fehlen. Am Nachmittag kommst du mit Caterina nach. Du spendierst deiner Tochter eine Zuckerwatte, zehn Päckchen mit Sammelstickern der Krieger des Zodiac und eine Runde Klettern. Du setzt dich zu den anderen Eltern und siehst zu, wie sie sich in die Schlange vor der Treppe einreiht. Mit einem Lächeln und diskreter Nonchalance drängelt sie sich an ein paar älteren Mädchen vorbei. Das Problem sind allerdings die Kleinen: Erst brauchen sie ewig, um hinaufzuklettern, und wenn sie oben angekommen sind, packt sie die Panik. Wie gelähmt klammern sie sich am Rand fest, als hätten sie Papierhände mit Fliegenleim, und lassen sich weder in die geöffneten Arme der unten wartenden Mama gleiten noch an den Füßen ziehen. Irgendwann wird es Caterina zu blöd, und sie geht weiter zur Hüpfburg.
Während du ihr zulächelst, wird dir bewusst: Es ist das erste Mal in deinem Leben, dass du auf einer Bank sitzt und deine Tochter aus der Ferne beaufsichtigst.
Gegen fünf lässt sich Elisa dazu herab, aus dem Gewühl aufzutauchen und euch zu begrüßen. Unter ihrem Arm klemmt ein Packen bunter Flugzettel.
»Wer hat die gedruckt?«, fragst du. Sie reicht dir einen, winkt Caterina zu und bringt mit einem müden Seufzer ihre Haare in Form.
»Politik ist ein anstrengendes Geschäft, was?«, stichelst du.
»Hast du Caterina diesen Floh ins Ohr gesetzt?«, fragt deine Frau und taxiert Caterina wie durch das Visier einer Präzisionswaffe.
»Colorprint, die kenne ich«, sagst du, als du den vertikalen Namenszug in einem winzigen Schriftgrad entziffert hast. »Weiß deine kommunistische Freundin eigentlich, dass dort Marokkaner die Nachtschichten machen, alles schwarz?«
Und das sieht man auch. Grobe Rasterung, und der Moiré-Effekt ist so stark, dass man ihn schon ohne Lupe sieht, doch deine Frau wiederholt einfach nur ihre Frage, Wort für Wort.
»Was?«, fragst du abwesend.
»Caterina. Von wegen Geschwisterchen.«
»Caterina will ein Geschwisterchen? Was ist daran so komisch? Sie ist sechs und hat ihren eigenen Kopf.«
Ihr schaut ihr einen Moment lang zu. Caterina wird nach oben geschleudert, vergewissert sich, dass ihr auch beide hinseht, und legt sich noch mehr ins Zeug.
»Wir haben doch schon darüber geredet. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt.«
»Gut, aber der Wahlkampf endet in sechs Wochen.«
Eure Tochter schmeißt die Beine in die Luft und rudert mit den Armen.
Du machst ihr ein Zeichen, nicht zu übertreiben, als hättest du Angst, sie könnte davonfliegen.
»Wenn Romina gewinnt und nach Rom zieht, braucht sie im Agriturismo jemanden fürs Büro.«
»Was verstehst du denn von Agriturismo? Ich dachte, du bist Wahlkampfexpertin?«
Caterina ignoriert deine Ermahnung und springt immer höher, ihre Haare schwingen auf und ab wie weiche dunkle Flügel.
»Weißt du was?«, keift Elisa.
»Nein.«
»Dein unverschämter Ton kotzt mich an!«, sagt deine Frau. Zu dir . Nicht gerade leise . Und beißt hinter den samtig roten Lippen die Zähne zusammen.
Caterina fliegt davon, höher und höher. Und deine Frau sitzt da, als wäre nichts, und brüllt dich, ihren Mann, an, du würdest sie ankotzen. Sie und ihre beschissenen, von der Konkurrenz gedruckten Flugblätter, sie und dieses kommunistische Ohrfeigengesicht einer barmherzigen Superreichen, die aus Jux und Tollerei nach Rom geht und da noch einmal ein Gehalt von zwanzig Millionen Lire im Monat kassiert.
»Sag das noch mal, wenn du dich traust.«
Elisa reckt vor deinem Gesicht den Zeigefinger hoch. Schrei mich nicht an, befiehlt sie, dabei schreist du gar nicht, sie ist es, die schreit, dass du sie nicht anschreien sollst. Während Caterina davonfliegt, versucht Elisa sich aus deinem Griff zu befreien, du würdest ihr wehtun. Dabei willst du nur, dass sie still ist, was du ihr in aller Freundlichkeit zu verstehen gibst, wie dir scheint. Nur
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