Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)
mich?«
Die Frau auf der anderen Seite zögerte, dann erwiderte sie: »Ich glaube ja, aber ich bin nicht ganz sicher.« Was war das für eine Antwort?
Dann fragte die Frau: »Wer bist du denn?«
»Ich bin Stefanie«, dachte sie, aber sie wusste auch, dass sie sich niemals so nennen durfte. So sagte sie ihren offiziellen Namen: Angela Bahr. Aber die fremde Frau ließ nicht locker. Ob es nicht vielleicht doch noch einen anderen Namen gäbe, wollte sie wissen, einen, den sonst niemand kenne. Einen, den sie nur für sich selbst habe. Sie zögerte, ihr Name war geheim, noch nie hatte sie ihn ausgesprochen. Ein starkes Gefühl warnte sie davor, so als hätte jemand es ihr bei schwerer Strafe verboten. Aber gleichzeitig war da etwas in dieser unbekannten Stimme, dem sie traute. Deshalb verriet sie es ihr schließlich: »Ich heiße Stefanie.«
»Stefanie«, sagte die Stimme, und ihr wurde so wohl, als sie sie hörte, »Stefanie, du brauchst keine Angst zu haben. Sei ganz ruhig, du bist in Sicherheit.«
»In Sicherheit? Aber ich weiß doch überhaupt nicht, wo ich bin. Hier war ich noch nie. Hier ist nur dieser Zettel über dem Telefon, Notrufnummer, deshalb habe ich Sie angerufen. Das ist eine ganz fremde Wohnung. Die gehört irgendwelchen anderen Leuten, die ich noch nie gesehen habe. Ich weiß nicht, wie ich hergekommen bin. Ich kenne die ganze Gegend nicht, das ist ein blödes Dorf hier. Ich wohne in Köln. Ich will nach Hause. Ich will zu meinem Papi. Können Sie mir nicht sagen, wo mein Papi ist?« Sie fing wieder an zu weinen. »Und gleich kommt meine Mutter zurück, dann darf ich nicht weinen.«
»Stefanie, deine Mutter kommt nicht zurück. Du brauchst keine Angst zu haben. Sei ganz ruhig.«
Und irgendwie wurde sie wirklich ruhig bei der Stimme, obwohl sie die Frau überhaupt nicht kannte. Und was die erzählte, war auch eher beunruhigend als beruhigend. Wieso kam ihre Mutter nicht zurück? Und woher konnte diese fremde Frau das wissen?
»Dir geschieht nichts«, fuhr die fort, und Stefanie wollte am liebsten immer nur diese Stimme hören. »Du bist in Sicherheit. Haben dir die anderen das nicht erzählt?«
Das war schon wieder beängstigend: »Welche anderen? Hier sind keine anderen. Ich bin ganz allein in der Wohnung. Hier ist niemand. Nur ein doofer Hund.«
Dann traute sie sich, die gefährliche Frage zu stellen, die sie sonst immer vermied: »Woher kennen Sie mich eigentlich?«
Die Frau machte eine Pause, Stefanie hörte, wie sie Luft holte. Hätte sie das nicht fragen dürfen? Sie spürte eine kleine Unsicherheit in der Stimme der Frau, als die sagte: »Ich kenne dich noch nicht persönlich, Stefanie, aber die anderen haben mir schon sehr viel von dir erzählt. Sie machen eine Therapie bei mir. Ich bin Therapeutin.«
Schon wieder die anderen! Das war jetzt richtig unheimlich, es kannte sie doch keiner. Niemand wusste, dass es Stefanie gab. Niemand durfte es wissen. Sie zögerte, dann wagte sie, nach ihnen zu fragen: »Welche anderen denn bloß?«
»Du wirst sie alle kennenlernen. Sarah und Traute, Martha, Miranda und Magda. Und die anderen. Sie haben dich vermisst. Sie haben sich sehr gewünscht, dass du wiederkommst.«
Das wurde hier immer verrückter. Wie konnte jemand sie vermissen, den sie gar nicht kannte? Die Frau redete wirres Zeug. Sie konnte ihr nicht glauben. Aber sie hatte so eine schöne Stimme, sie sollte weiterreden.
Als ob sie das gehört hätte, fuhr die Frau fort: »Am besten setzt du dich auf einen bequemen Stuhl, Stefanie, und entspannst dich. Du musst ruhig werden.«
Das sagte sie sich ja selbst schon immer. Aber jeden Moment konnten hier fremde Leute reinkommen, und dann musste sie doch wissen, wo sie war. »Hier ist alles so komisch«, fiel ihrwieder ein, »ich versteh das nicht. Zeitungen liegen rum mit dem falschen Datum. Ich hab Sachen an, die ich nicht kenne. Meine sind das bestimmt nicht. Im Spiegel hab ich lange Haare, dabei sind meine Haare doch ganz kurz. Alles ist so unwirklich. Ich hab solche Angst.«
Die Frau machte eine lange Pause. Stefanie wurde schwach vor Panik: »Sind Sie noch da?«
»Ja, Stefanie, und ich lege nicht auf, bevor du beruhigt bist. Kennst du das nicht, dass manchmal Zeit vergeht, ohne dass du es merkst? Diesmal ist eben etwas mehr Zeit vergangen.«
Und ob sie das kannte. Aber bisher hatte sie geglaubt, nur ihr passierte so was. Hin und wieder hatte sie vorsichtig danach gefragt. In ihrer Klasse, bei Freundinnen. Aber die konnten alle wie aus
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