Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)
Dieses hatten sie jetzt geschafft.
Am nächsten Tag schickte Nina Temberg ihnen einen großen fröhlichen buttergelben Blumenstrauß. Sie fanden auch, dass sie ihn verdient hatten. Aber Nina hatte auch einen verdient. Sie schickten ihr ebenfalls einen.
Eine Woche später trafen sie sich bei ihrer Anwältin: Angela, Nina und die beiden Polizistinnen. Es war ein inoffizielles Treffen, denn die Polizistinnen hatten deutlich gemacht, dass sie gezwungen wären, Anzeige zu erstatten, wenn ihnen in amtlicher Funktion Straftaten zu Ohren kämen.
Es kam ihnen einiges zu Ohren.
Nina Temberg erzählte ihnen vieles über Multiple Persönlichkeitsstörungen. Solche, die durch extreme Misshandlungen in der frühen Kindheit entstehen. Und solche, die von Tätern mit hochspezialisiertem Wissen gezielt produziert werden.
Die Anwältin erzählte von professionellen Kinderpornoringen und satanistischen Kulten, die seit Jahrzehnten in etlichen Bundesländern tätig sind. Sie berichtete, dass viele ihrer Klientinnen in derartigen Kulten missbraucht und selbst als Erwachsene nochbedroht wurden. Sie erzählte, dass die Angst der Opfer so groß sei, dass sich nur die wenigsten trauten, Anzeige zu erstatten. Dass aber einige Verfahren inzwischen liefen. Sie erzählte, dass sie im Auftrag ihrer Klientinnen viele bekannte und vermutliche Täter angeschrieben und informiert hätte, dass ihre Klientinnen sich an die Geschehnisse erinnerten und sämtliche Namen, Tathergänge und Beweise hinterlegt hätten. Nicht nur bei ihr.
Angela erzählte, in welch feinen Kreisen sich die Herren bewegten, die sie über Jahrzehnte gefoltert und missbraucht hätten. Dass es sich um eine erstklassige Organisation handle, mit besten Verbindungen, auch zur Polizei.
Das glaubte man ihr sofort.
»Und mit Sicherheit haben die mir jetzt mit der Anzeige auch die Polizei ins Haus geschickt«, ergänzte Angela.
»Aber warum denn, wenn sie unter keinen Umständen auffallen wollen?«
Das war der Kommissarin schleierhaft.
Darauf erklärte Nina Temberg, wie Sekten und Kulte es schaffen, Menschen durch gezielte Konditionierungen zu Handlungen zu bringen, die sie eigentlich gar nicht wollen.
»Es ist bitter, das einzugestehen«, sagte sie, »aber man kann Menschen programmieren. Fast wie Computer. Man muss früh genug anfangen. Man muss hart genug foltern. Man muss Kinder in Todesnähe bringen. Man muss ihren Kontakt zur freien Umwelt unterbinden. Man muss das erwünschte Verhalten belohnen. Und immer die Kontrolle aufrechterhalten.«
Nina wunderte sich über sich selbst: Sie konnte sich nicht erinnern, sich jemals in ähnlich zynischem Ton sprechen gehört zu haben. Aber es drang durch zu den beiden Frauen.
Etwas weicher fügte sie an: »Ich hätte es auch lieber nicht gewusst. Aber es ist so. Frau Lenz ist unter anderem auf das Erscheinen der Polizei programmiert worden. Weil Polizei für die Täter eine Gefahr bedeutet und verhindert werden muss, dass Frau Lenz überhaupt mit der Polizei spricht, löst das Erscheinender Polizei, überhaupt jeglicher Kontakt mit der Polizei bei ihr starke körperliche Schmerzen, Halluzinationen sowie Gedanken an Selbstmord aus. Und damit würde sich die Sache dann von selbst erledigen.«
Die Polizistinnen waren erschrocken. Sie schauten Angela an.
»Was sie wohl jetzt sehen?«, dachte Angela. »Ein Monster?«
Nina versuchte, den Schrecken umzulenken.
Lächelnd sagte sie: »Wir hinken zwar oft noch hinter den teuflischen Strategien der Gegner hinterher, aber ganz doof sind wir auch nicht. Ein bisschen haben wir ja auch schon gelernt. Viele derartige Programmierungen sind inzwischen aufgelöst. Frau Lenz kann das in manchen Fällen ganz alleine. Einiges ist auch richtiger Kinderkram, in den sechziger Jahren angelegt eben. Mit Robotern und so. Anderes ist hochtechnisiert. Diese Typen reisen wirklich mit Laptops, in denen sie die Programmierungen ihrer Opfer gespeichert haben, durch Deutschland. Um solche Sachen aufzulösen, braucht man die Fähigkeiten eines Computerfachmanns. Haben wir inzwischen.«
Im Stillen dachte Nina: »Meine Güte, wie rede ich denn hier? Als ob wir es alles im Griff hätten. Schön wärʼs.«
Nach einigen Stunden sahen sich die Polizistinnen an, holten tief Luft, und die Jüngere sagte: »Scheiße, das stimmt!«
Sie glaubten ihr.
Die fünf Frauen waren sich einig in der Einschätzung, dass eine Anzeige gegen die Täter zurzeit viel zu gefährlich für Angela sei. Das Risiko, jetzt einen Machtkampf
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