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Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)

Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)

Titel: Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Fröhling
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gemeinsam studiert, Ende der siebziger Jahre, zu einer Zeit, als die Frauenbewegung in manchen Instituten, in Teilbereichen von Universitäten und Fachhochschulen tatsächlich Fuß zu fassen schien. Gemeinsam hatten die beiden beschlossen, sich als Psychotherapeutinnen selbstständig zu machen, als feministische Therapeutinnen wohlgemerkt. Als nächster Schritt kam der Entschluss, mit Frauen zu arbeiten, es ergab sich dann irgendwie, dass es meistens schwer traumatisierte Frauen waren, Frauen, die körperliche, sexuelle, seelische Misshandlungen in der Kindheit erlebt hatten, vergewaltigte und psychiatrieerfahrene Frauen. Die Geschichten ihrer Klientinnen hatten die beiden in ihrem Entschluss bestärkt, nicht mit Männern und schon gar nicht mit Tätern zu arbeiten. Darin waren sie sich einig.
    Nicht immer waren sie sich einig.
    Aber sie waren sich immer wichtig.
    »Eine Neue ist aufgetaucht«, sagte Nina aus ihren tiefen Gedanken heraus plötzlich zu Elisabeth, die gerade einen Ast überdie Waldwiese schleuderte, um der überaktiven Charly eine Aufgabe zu verschaffen.
    »Wie, eine Neue?«
    »Ja … eigentlich nicht neu. Sie war nur achtzehn Jahre lang weg. Achtzehn Jahre, stell dir das bloß mal vor! Seit der Beerdigung ihres Vaters. Damals ist sie verschwunden. Und vorgestern Nachmittag, nach achtzehn Jahren, war sie plötzlich wieder da, stand ganz allein in der Wohnung und hatte natürlich keine Ahnung, wo sie ist. Sie ist auf der Straße herumgelaufen, hat die gesamte Wohnung durchsucht, alte Telefonnummern ausprobiert, bis sie schließlich meinen Notfallzettel am Telefon gefunden und mich angerufen hat. Glücklicherweise hatte ich gerade eine Freistunde, so konnte ich zwei Stunden mit ihr und einigen anderen von Frau L. telefonieren, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatten. Das war ein Stück Arbeit.«
    »Frau L.«, so nannten die beiden Kolleginnen, um auch untereinander das professionelle Schweigegebot zu beachten, Ninas faszinierendste und beunruhigendste Klientin. Angela Lenz. Eine Multiple Persönlichkeit. 9
    Unter dem Druck schwerster Traumata in sehr früher Kindheit war Angelas entstehendes »Ich« aufgesplittert in Dutzende von Persönlichkeitsanteilen. Etwa fünfzig von ihnen hatte Nina Temberg bisher persönlich kennengelernt. Es waren Anteile, die selbstständig handeln, denken, reden konnten. Die mit unterschiedlichen Stimmlagen redeten – mit jeweils eigenen, nicht mit verstellten Stimmen. Die eigene Handschriften, Meinungen, Geschmäcker, Aufgaben, Ziele und Gefühle hatten. Und die – wenn sie überhaupt von der Existenz der anderen wussten – einander nicht besonders gut ausstehen konnten, schon allein deshalb, weil sie sich gegenseitig ständig die Zeit raubten. Die eigene Namen trugen und sich selbst als getrennte, eigenständige Personen – unterschiedlichen Alters – erlebten, auch wenn sie alle denselben Körper bewohnten.
    Und die Nina weit über das übliche Therapiemaß an Zeit und Sorge kosteten, häufig der Anlass für verschmorte Abendessen waren, für versäumte Kinobesuche, stundenlang belegte Telefonleitungen und – das bedrückte Elisabeth am meisten – für ein ständig wachsendes Gefühl von tiefer, auswegloser Trauer in Nina. Aber Elisabeth hatte auch Verständnis, sie selbst hatte zwei multiple Patientinnen in Therapie – sie kannte die Faszination und auch die Schwierigkeit, ihnen Grenzen zu setzen.
    Nina, das hatte ihre Supervisionsgruppe wiederholt streng und mahnend festgestellt, ließ ihre Klientin über alle Grenzen gehen. Das sei falsch, teilte man ihr mit. Sie müsse ihr Grenzen setzen. Sie müsse ihre Therapiestunden auf fünfzig Minuten begrenzen. Sie müsse Kontakte zur Klientin außerhalb der Therapie ablehnen. Mit ihr essen gehen? Unmöglich! Wie sie es denn mit dem Abstinenzgebot hielte? Und ob sie denn wirklich die vielen langen Briefe der Klientin auch noch lesen wolle? Und wann? Sie dürfe die Klientin nicht ermuntern, sie immer anzurufen, wenn die sich in Not fühlte, wohin denn das führen solle? Nina fühlte sich gerügt wie ein kleines Mädchen.
    Und machte genauso weiter.
    Denn auch die Not der Klientin war über das übliche Maß groß.
    Die Not war über alle Maßen groß.
    Nichts, was Nina bisher in der Wirklichkeit, in der Fachliteratur oder in Romanen begegnet war, kam dem, was ihre Klientin erlebt hatte, auch nur annähernd nahe. Kein Horrorfilm – die Nina immer mied – konnte wiedergeben, durch was Angela Lenz hindurchgegangen

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