Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)
etwas eingefallen. Die meisten aber hörten, wie Sarah direkt mit ihnen sprach. Viele konnten Sarah und auch andere innere Personen optisch wahrnehmen, sie sahen dann nicht den Körper von Angela Lenz, sondern Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Sie unterhielten sich miteinander, manchmal zu mehreren, trösteten sich, gaben sich Ratschläge oder spielten miteinander. Hin und wieder fanden ausführliche Diskussionsrunden statt, Konferenzen und auch Streitgespräche. Zank, Drohungen und Quälereien allerdings kamen lange nicht mehr so häufig vor wie früher.
Als es Zeit war, sich zu verabschieden, kam Lena für einen kurzen Moment nach vorn und umarmte ihre Ersatzmama. Die Jungen schüttelten Nina Temberg die Hand, gemeinsam traten alle vor das Haus, schauten sich sorgfältig um, stiegen in den Wagen und fuhren davon.
Nina blickte auf ihre Armbanduhr: wenige Minuten nach sieben. Diesmal hatten sie fast pünktlich Schluss gemacht. Das war ungewöhnlich. Aber sicher ein gutes Zeichen. Sie legte die Termine mit Angela Lenz meist ans Ende eines Tages, um zeitlichen Spielraum zu haben. Denn sie wusste nie präzise, wie viel Aufmerksamkeit die Klientin jeweils benötigte. Manchmal gab es auch Panikattacken, und hin und wieder musste sie innere Kinder aus einem Trauma herausholen. Sie tauchten dann auf mit dem Gefühl, immer noch in der Missbrauchssituation zu stecken. Für sie geschah die Vergangenheit heute. Nina musste diese Flashbacks dann wegwischen wie Spinnweben und ihnen zeigen, dass alles in Ordnung war. Dass die Gefahr wirklich vorüber war. Dass wirklich niemand außer Nina im Raum war.
Und dass auch draußen vor der Tür niemand wartete, um ihnen etwas anzutun.
Angela kam immer pünktlich, aber nur selten war es möglich, sich an das Limit von zwei Stunden zu halten. Vielleicht war sie jetzt allmählich so weit. Nur gut, dass Angela so einen geduldigen Ehemann hatte, dachte Nina. Der saß eben zu Hause, kümmerte sich um die Kinder, wartete ab, dass seine Frau zurückkam. Und dann freute er sich. Seiner Frau tat die Therapie offenbar gut, und davon hatte natürlich auch er Vorteile.
Trotzdem blieb Nina mit einem irritierenden Gefühl im Bauch zurück. Als ob ihr Zwerchfell plötzlich zehn Zentimeter höher saß als sonst. Sie sah dem davonknatternden kleinen Fiat nach und dachte: »Was das wohl noch gibt.«
Parallelwelten
Angela parkte am Hauptbahnhof und wartete. Es war Viertel nach sieben.
Es dauerte einige Minuten, dann wurde ihre Tür geöffnet, und der Blonde mit der Perle im Ohr, den sie kannte, schaute herein und fragte: »Wer bist du?«
»Moira.«
»Okay, steig um.«
Sie stieg aus, verschloss ihren Wagen, schaute sich kurz um und ging auf die Beifahrertür seines BMW zu.
»Nach hinten«, sagte der Blonde.
Dort saß schon jemand. Er kam ihr ebenfalls bekannt vor. Sie setzte sich schweigend neben ihn. Gemeinsam fuhren sie aus der Stadt hinaus in das hügelige bewaldete Gebiet im Südwesten.
»Moira, Moira, du gehörst uns«, sagte der andere Mann. Sie guckte ihn an.
»Was hat es denn heute wieder Nettes gegeben in deiner Therapie?«
»Wir haben eine neue Person. Sie heißt Stefanie.«
»Was hat sie erzählt?«
»Gar nichts, ganz bestimmt. Überhaupt nichts, das müssen Sie uns glauben.«
»Ich muss gar nichts«, sagte der Mann.
»Ja. Aber sie hat wirklich nichts erzählt. Bestimmt. Wir sind doch die Einzigen, die etwas wissen. Und wir sagen nichts. Wir schweigen. Ganz bestimmt. Sie weiß doch überhaupt nichts. Sie glaubt auch gar nichts. Sie hat von nichts eine Ahnung. Sie war achtzehn Jahre lang nicht da. Sie hat keinen Schimmer, was inzwischen passiert ist.«
»Na fein«, grinste der Mann, »dann ist deine kleine Therapeutin ja wieder ein Weilchen beschäftigt. Kann eurer Neuen viel von der großen bösen Welt und den schlimmen, schlimmen Männern erzählen.«
Sie kamen allmählich in bewaldetes Gebiet. Es begann zu dämmern.
»Herold«, sagte der Mann auf dem Rücksitz zu Angela.
»Ja!«
»Was habt ihr der Therapeutin von der Gruppe erzählt?«
»Natürlich nichts.«
»Stimmt das?«
»Die weiß doch noch nicht mal, dass es uns gibt.«
»Sorg dafür, dass das so bleibt.«
»Jawohl.«
»Nächstes Mal gräbt dich keiner mehr aus.«
»Wir schweigen.«
Sie fuhren auf einen Parkplatz. Dort stand schon ein großer dunkler Mercedes. Der Mann mit der Perle parkte etwa fünfzig Meter davon entfernt, stieg aus und ging zu dem anderen Wagen hinüber. Ein älterer Mann
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