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Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)

Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)

Titel: Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Fröhling
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habe.«
    Mimi!, denkt Lena, meine Babypuppe, das ist meine. Wo hat er die denn her?
    »Das ist meine«, sagt sie und streckt die Hand aus.
    Onkel Sörensen öffnet sein Hemd und lässt Mimi hineinrutschen. Die arme kleine Mimi, an dem fetten, haarigen Bauch von Onkel Sörensen.
    »Jetzt musst du sie suchen«, sagt er, und seine Stimme wird dick und seine Augen verschwommen. Lena will weglaufen. Aber das geht nicht, denn sie muss Mimi retten. Langsam geht sie an Onkel Sörensen heran. Als sie vor ihm steht und nach Mimi tastet zwischen Hemd und schwitzendem Männerkörper, fühlt sie sich gepackt und auf den Kopf gedreht. Sie denkt nur an die arme Mimi hier unten und nicht daran, was Onkel Sörensen da oben macht.
    Dabei hilft, dass sie ihre Beine nicht fühlt.
    1964
Die NPD unter Adolf von Thadden wird gegründet
Im Kino: »Das Schweigen«
Im Fernsehen: »Der Goldene Schuss« + »Einer wird gewinnen«
Hitparade: »Baby, I love you«, »Baby Love«
Die Bundesbank trägt dem steigenden Reichtum Rechnung
und führt den 1000-Mark-Schein ein
Einer muss es ja tun
    Was den sechs kleinen Wesen auch noch half, die bisher aus Angela entstanden waren, könnte man als eine Art Quantensprung in der Systementwicklung bezeichnen: Lena und Carola, zwei von ihnen, lernten sich kennen. Auf einmal konnten sie sich spüren, manchmal sogar sehen. Bei einigen Vergewaltigungen waren sie gleichzeitig da. Nun wussten sie, dass sie doch nichtganz allein waren. Sie konnten sich gegenseitig trösten, hin und wieder sogar im Arm halten. Sie nahmen sich als richtige Personen mit individuellen Eigenschaften, Aussehen und eigenen Namen wahr. Häufig wunderten sie sich, dass man sie beide Angela rief, sie wussten aber genau, dass sie auf diesen Namen reagieren mussten.
    Der Unterschied zwischen sich und anderen Menschen, den anderen Kindern zum Beispiel, die sie im Kindergarten trafen, war ihnen nicht bewusst.
    Das war ein Glück, denn schließlich hatten sich die Innenpersonen erfunden, um ein Gegengewicht zur unerträglichen Wirklichkeit zu schaffen.
    Und dann war da plötzlich noch jemand: Jimmy.
    Jimmy, ein guter Freund. Von der Wissenschaft »innere Helferpersönlichkeit« genannt. Der Trost, den die Außenwelt verweigerte, wird im Inneren geschaffen.
    So ungewöhnlich ist das nicht: Untersuchungen belegen, dass sich etwa sechzig Prozent aller Kinder in bestimmten Altersstufen unsichtbare Spielgefährten erschaffen. Wesen, die aus Büchern, Fernsehserien entlehnt werden oder selbst erschaffen sind. Die werden angesprochen, nach ihren Wünschen gefragt, essen und trinken mit und haben sogar ihren eigenen Platz am Tisch, wo sonst niemand sitzen darf. Sie haben eine Meinung und geben Kommentare ab, die das Kind, wenn es mag, an die Erwachsenen weiterleitet. Manchmal sprechen sie etwas aus, was das Kind selbst sich nicht zu sagen traut. Im Zuge einer normalen Entwicklung verschwinden sie irgendwann wieder, werden vergessen oder, als »Herr Mondenschein« oder »grüner Superfrosch«, ein wenig wehmütig vom Erwachsenen im Gedächtnis behalten.
    Bei Multiplen Persönlichkeiten werden imaginäre Spielgefährten häufig ins innere System mit hineingenommen, erhalten eine Funktion, und dadurch werden sie »einer von uns«.
    Jimmy war also eine Art »Harvey«, wie er James Stewart in dem Film »Mein Freund Harvey« als 2,10 Meter großer freundlicher weißer – und weiser – Hase begleitete und beriet. Ein Hase, den nur James Stewart sehen und hören konnte.
    Jimmy, Angelas »Harvey«, war der Erste, den alle anderen Persönlichkeiten wahrnehmen konnten. Er war der klassische ältere Bruder, den man sich wünscht, damit er aufpasst und einen beschützt. Daher war er auch die erste männliche Person, die geschaffen wurde. Jimmy erlebte all das Schreckliche mit, was den Mädchen angetan wurde. Aber er konnte nicht eingreifen, er konnte nur trösten. Er konnte die Hand halten, während es geschah. Er konnte über die Stirn streichen, die Tränen trocknen, liebe Worte sagen. Oft wäre er am liebsten weggelaufen, um die Vergewaltigungen nicht mit ansehen zu müssen.
    »Aber«, so Jimmy, »das ging nicht, denn dann wären die Kleinen wieder allein gewesen. Und ich musste ja nur dabei sein, ich brauchte das nicht auszuhalten. Da ich so vieles mitbekam, wurde ich immer älter. Die Kinder dagegen wurden in all den Jahren nur zwei bis vier Jahre älter. Es war immer, als wenn das alles meine Kinder wären.«
    Jimmy fühlte nicht, was passierte, er sah es nur.

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