Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)
die Mutter zu und kuschelte sich an sie. Gisela Bahr stieß das Kind von sich. Jetzt kam sie, jetzt, wo es zu spät war! Gisela Bahr kochte vor Wut. Nun musste sie die ganze Küche saubermachen. Und was fing man mit dem Kleid an? Auch die Haare konnte sie ihr noch mal waschen. Und in einer Stunde mussten sie losfahren.
Carola wunderte sich, dass die Mutter sie weggeschubst hatte. Aber so schnell gab sie nicht auf. Sicher war das ein Missverständnis gewesen, vielleicht musste sie ihre Zuneigung nur deutlicher zeigen. Noch einmal lief sie auf die Mutter zu, umfasste ihr Bein, griff nach ihrem Arm. Da schlug die Mutter zu. Sie schlug nicht nur einmal. Sie schlug immer wieder. Sie schlug mit allem, was sie greifen konnte. Entsetzt verschwand Carola.
Nicki und Stefanie tauchten für Augenblicke auf, aber auch sie ertrugen die wütende, prügelnde Mutter, ertrugen ihre Feindschaft nicht.
Da kam Käthe.
Käthe blieb stehen, hielt die Schläge aus und den Hass und wehrte sich nicht. Von nun an, immer wenn die Mutter prügelte, kam Käthe. Immer wenn sie richtig prügelte – nicht nur mal eben hinlangte, mit dem Kochlöffel, dem Besen, den Stiefeln, der Hand, denn so was kriegten sie alle ab.
Käthe wurde nicht sexuell misshandelt, ihr Leben bestand aus einer endlosen Reihe von Prügelstrafen ohne Ursache. Niemals wusste sie, wofür sie geschlagen wurde, denn sie tauchte erstbei den ersten Schlägen auf und hatte keine Ahnung, was vorher geschehen war. Anfangs sagte Käthe manchmal: »Aber ich hab doch gar nichts getan.« Doch das ließ sie schon bald, denn es verstärkte die Schläge. »Auch noch lügen«, sagte die Mutter und haute heftiger zu.
Doch Carola gab nicht auf. Sie machte viele Versuche, in diesem und in den folgenden Jahren. Sie wusste einfach, dass Mütter ihre Kinder schützen. Irgendwann würde ihre Mutter auch sie schützen. Carola musste sie nur immer wieder daran erinnern.
Eines Tages saß Carola plötzlich zwischen zwei fremden Männern auf der Couch. Es war das Wohnzimmer. Der Vater sprach mit den Männern über Geld. Die Männer schauten sich Carola genau an. Einer brummte »Canʼt buy me love«, den aktuellen Hit der Beatles, dann lachten sie darüber und reichten dem Vater einige Geldscheine. Sie machten Witze, betasteten Carola. Da öffnete sich die Tür, und die Mutter betrat den Raum. Diesmal würde sie ihr bestimmt helfen. »Mama«, rief Carola hilfesuchend. »Nimm mich mit.«
Die Mutter, blicklos schon an der gegenüberliegenden Tür angelangt, drehte sich um, blieb einen Augenblick stehen, schaute auf die dreieinhalbjährige Tochter hinab und sagte: »Stell dich doch nicht so an, du böses Mädchen. Du hast doch selber Schuld. Bist alt genug. Du musst selber wissen, was du tun willst und was nicht.« Und verließ den Raum.
Das war der schlimmste Verrat. Er traf tiefer als alles, was die Männer taten.
Es gab keine Hoffnung.
Warum hat sie mich alleingelassen?, dachte Carola. Hat sie recht? Hat sie vielleicht recht, und ich bin böse und selber schuld? Wenn sie das sagt, dann bin ich vielleicht böse und habe das nicht anders verdient. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe nur, dass sie so seltsame Dinge sagt und sich umdreht und dann einfach weggeht. Sie kann das. Einfach weggehen. Ich will das auch. Ich will mich auch einfach umdrehen, weggehen und die Tür hinter mir zumachen. Wenn sie das kann, dann kann ich das auch. Ich gehe einfach hinter ihr her, und dann bin ich in Sicherheit. So verschwand sie und ließ eine Neue zurück: Lena.
Lenas Welt war voller Onkel.
So viele Onkel. Mit einigen war man verwandt, mit anderen nicht. Aber was der Unterschied war, wusste Lena damals noch nicht so recht. Sie wusste aber, dass man nicht darüber sprechen durfte, was die Onkel mit einem machten. Das schärften sie ihr immer wieder ein. Aber warum sie ihr das einschärften, wusste Lena auch nicht. Mit wem hätte sie denn drüber reden sollen? Sie sah doch sonst niemanden, jedenfalls in der ersten Zeit. Nur den Vater und die Onkel.
Manche Onkel besuchte man, die anderen besuchten einen. Mal blieb der Papa dabei, ein andermal wurde man nur abgeliefert und später wieder abgeholt. Aber das wusste Lena nicht. Sie erlebte nur die Onkel, die ins Haus kamen.
Lena war zuständig für Ereignisse innerhalb des Hauses, die mit fremden Männern zu tun hatten und mit dem Gefühl verknüpft waren, von der Mutter verlassen zu sein.
Wenn die Onkel ins Haus kamen, allein, zu zweit, passte der Papa auf, dass
Weitere Kostenlose Bücher