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Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)

Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)

Titel: Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Fröhling
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Mülleimer, »damit du siehst, wo du Dreckstück hingehörst«.
    Die Schritte der Mutter auf der Kellertreppe, wie sie sich entfernen, das Schließen der Kellertür, der Schlüssel, der sich im Schloss dreht, und dann nichts mehr, nur ein rhythmisches Dröhnen in den Ohren: eine vertraute Abfolge von verhassten Geräuschen. Einmal ist Stefanie heulend und brüllend mit dem Mülleimer umgekippt, ist herausgeklettert, hat sich die Treppe hochgezogen – richtig gehen konnte sie damals noch nicht – und ist wieder hinuntergefallen. Die Verletzung am Bein zog neue Strafen nach sich. Seither bleibt sie hocken, schaut zu dem kleinen Fenster dort oben, wo manchmal ein Löwenzahn blüht. Bleibt hocken, bis sie wieder in die Oberwelt darf.
    Heute blieb ihr der Keller erspart. Beim Abendessen muss sie dann nur noch aufpassen, dass sie vollkommen still sitzt, während der Vater das Gebet spricht, dass sie nicht kleckert oder lärmt, nicht ungefragt redet, nicht mehr nimmt, als man ihr gibt, alles isst, was auf ihrem Teller liegt.
    Man muss die Hände falten, darf sie aber nicht auf den Tisch legen beim Gebet. Das wäre faul, achtlos und nicht demütig gegenüber dem lieben Gott.
    »Komm, Herr Jesus, sei unser Gast, und segne …«
    Kick! Ein Tritt vom Bruder gegen das Schienbein seiner Schwester.
    »Au«, sagt Stefanie, so leise sie kann.
    Die Ohrfeige der Mutter unterbricht den Vater nicht im Text: »… was du uns bescheret hast.«
    Man muss die Hände links und rechts neben den Teller auf den Tisch legen. Nicht auf den Schoß.
    Man muss aufpassen, dass man die Gabel erst anfasst, wenn die Eltern zu essen begonnen haben. Man muss das Messer inder rechten Hand halten, die Gabel mit den Zinken nach unten, nicht nach oben. Man muss gerade sitzen.
    Gerade sitzen ist besonders wichtig, sonst bekommt man einen Besenstil quer über den Rücken gebunden und die Arme darüber. Das ist gut gemeint, sagt die Mutter, denn schief sitzen ist ganz schädlich. Dann wird man so krumm wie eine Hexe, und kein Mann will einen heiraten. Bloß nicht den Besenstil. Dann kann man nämlich nicht zur Toilette gehen, weil man so quer nicht durch die Tür kommt. Und wenn man es doch geschafft hat, kann man sich nicht die Hose herunterziehen, weil die Arme ja am Besenstil festgebunden sind. Und dann ist sowieso alles zu spät, weil man sich schon in die Hose gemacht hat. Und dann wird alles noch viel schlimmer.
    Der Tisch ist mit Damast, Stoffservietten und Serviettenringen, Tafelsilber, Porzellan, schweren Gläsern gedeckt. Eine hohe Kunst, alles richtig zu machen.
    Aber wie meistens gibt es nur Bratkartoffeln.
    Kick! Der ältere Bruder ist Meister im geschwisterlichen Spiel »treten, ohne erwischt zu werden«.
    »Au!«, ruft Stefanie, nicht mehr ganz so leise.
    Die Mutter holt zur Ohrfeige aus. Stefanie, Meisterin im flinken Ausweichen, beugt sich weit von der Mutter weg zum Vater hin, der gerade die Schüssel mit den Bratkartoffeln wieder absetzen will. Sie stößt mit dem Kopf gegen seinen Arm, er lässt die Schüssel auf den Boden fallen. Die Bratkartoffeln fliegen aus der Schüssel auf die Orientbrücke.
    Stille.
    Die Eltern schauen sich an.
    Stefanie sackt in sich zusammen. Käthe taucht auf. Jetzt wird es passieren.
    Nichts passiert.
    Sie tun ihr nichts! Warum? Weil Geburtstag ist? Sie steht auf, läuft in die Küche, holt Schaufel, Feger, macht sauber, trägt fort, hastet zurück, klettert auf den Stuhl, sitzt still, Hände auf dem Tisch, links und rechts neben dem Teller.
    Sie hält die Luft an. Stille.
    Der Bruder zappelt erwartungsfroh auf seinem Platz.
    Die Eltern schauen sich an.
    »Dann will ich mal etwas anderes zurechtmachen«, sagt die Mutter, sie steht auf, holt Brot, Butter und Aufschnitt aus der Küche.
    Sie tun ihr nichts!
    Kann das sein?
    Vorsichtig, Häppchen um Häppchen schiebt Stefanie sich ihre Scheibe Brot in den Mund, obwohl alles in ihr sich weigert zu essen. Aber das wäre unmöglich.
    Keine weiteren Zwischenfälle. Überstanden.
    Nun wird es Zeit, ins Bett zu gehen. Augenblicklich. Die Ängste kriechen aus allen Ecken hervor, wie jeden Abend. Das Bett ist niemals ein Trost, kein sicherer Platz in diesem Haus. Gar kein sicherer Platz in diesem Haus.
    Schnell und voller Unruhe legt sie ihre Kleider ab, faltet sie sorgfältig, wie es sich gehört, zieht den Schlafanzug an, legt sich hin, zieht die Bettdecke ganz hoch. Draußen vor dem Fenster singt eine Amsel, trauriger Klang.
    Einige Personen hocken jetzt dort im Bett,

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