Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)
nur die Kinder bei ihren Taten zu sehen waren, nie die Erwachsenen.
Nur die Kinder.
Kopien dieses Snuff-Movies wurden in andere Länder transportiert und brachten damals im Handel über 50 000 Mark. Pro Stück. 48
Angela jedoch sagten sie, diesen Film würde man aufbewahren und ihn sofort der Polizei übergeben, falls sie jemals das Schweigegebot verletzten sollte. Und dann käme sie ins Zuchthaus. Lebenslang.
Auch in zehn oder zwanzig oder fünfzig Jahren müsse sie noch schweigen. Ewig.
Denn Mord verjährt niemals.
Damals war sie gerade neun Jahre alt.
Zwei Tage zuvor hatte Angela mit ihrer Schulklasse einen Ausflug gemacht. Durch dasselbe Wäldchen. Nur wenige hundert Meter von diesem Platz entfernt. Gemeinsam hatten sie kurz vor Ostern den Frühlingsbeginn aufgespürt. Knospen von Lärchen und Forsythien, Kätzchen der Weiden in ihre Hefte gemalt. Mit feinem Strich hatte Angela die Frühlingszeichen in ihr Heft gemalt. Und ihre Lehrerin hatte im Stillen gestaunt, dass sich mit solch ruppig abgenagten Fingernägeln so filigrane Zweige aufs Papier zaubern ließen.
Rituelle Schwüre und Drohungen schlossen sich an: Sollte jemand sprechen, würde Satan ihn und seine Familie strafen. Auch alle Außenstehenden, denen ein Kind je etwas verraten würde, würden schwer gestraft werden.
Hierauf folgte die Befragung der Paten, ob ihre Schützlinge zu Satans Ehren gelebt hätten. Zu Satans Ehren, das bedeutete, dass nichts aufgefallen war, dass die Welten getrennt geblieben waren. Die dort oben und die hier unten. Verneinte ein Pate diese Frage, musste das Kind den Hohepriester auf Knien um eine gerechte Strafe bitten.
Gerecht.
Gerecht, das konnte heißen, ausgepeitscht zu werden.
Es konnte heißen, über dem Feuer hin- und hergeschwenkt zu werden. Es konnte heißen, in eine Kiste voller Spinnen gesperrt zu werden. Es konnte heißen, über eine Wanne glühender Kohlen gehen zu müssen. Mit der Drohung, in dieser Kohlenwanne begraben zu werden.
Es konnte heißen, gefesselt zu werden. An Händen und Füßen, die dann mit einem Seil auf dem Rücken verbunden und so weit wie möglich in Richtung Kopf gezogen wurden. Das Seil wurde mit einer Schlaufe um den Hals gelegt. Die Beine zogen automatisch nach unten, die Schlinge wurde immer enger, bis zur Strangulierung.
Besonders beliebt aber bei diesen Männern in den schwarzen Kutten an ihren »speziellen« Herrenabenden war eine weniger lebensgefährliche, aber unendlich demütigende Tortur, ein Seelenmord speziell für weibliche Seelen: Dem am Boden gefesselten Mädchen wurde eine Klammer in den Mund gesetzt, die verhinderte, dass sie den Mund schließen konnte. Dann benutzten die Männer sie als Urinal.
Bei den nächsten Treffen begriff sie, dass es zwei Arten von Folter gab. Wie es auch zwei Arten von Kindern gab.
Das eine waren Menschen wie sie: Menschen mit Papieren, einer Familie, einer guten sogar, und einem sozialen Umfeld. Menschen, die nicht einfach verschwinden konnten, weil Eltern, Lehrer, Behörden nachfragen würden.
Die Folter für solche Kinder sollte möglichst wenig Spuren hinterlassen. Das Ekeltraining eignete sich hervorragend, diese Spuren konnte man abwaschen. Noch spurloser ging es mit Stromstößen, die unauffälligsten Stellen lagen in den Körperöffnungen.
Das andere waren Menschen ohne Papiere, ohne festen Wohnort, ohne Familie. Obdachlose Erwachsene, weggelaufene Jugendliche, Kinder, deren Eltern sich nicht für sie interessierten. Kinder, die von internationalen Händlerringen aus Süditalien,dem Ostblock, aus Asien hertransportiert worden waren. Und Kinder, die gezeugt worden waren, um zu sterben.
Bei diesen Menschen wurde nicht darauf geachtet, dass keine Spuren blieben. Es war egal. Sie würden es sowieso nicht überleben.
Plötzlich war das Ritual vorüber. Es hatte eine zeitlose Ewigkeit gedauert. Plötzlich war alles vorbei. Die Kinder durften duschen und sich anziehen. Im Kopf, in der Seele die Mahnung, ehrenhaft zu leben.
Ehrenhaft.
Was das bedeuten konnte, erfuhr Endora, als sie wieder im oberen Zimmer war. Zwei Erwachsene, immer noch in Kutten, immer noch nicht erkennbar, unterhielten sich über einen jungen Mann aus dieser Gruppe. Bei Einbruchdiebstählen war er geschnappt worden, saß nun seit einigen Monaten im Knast. Bei einem Haftüberprüfungstermin hatte der Junge seinen Richter tatsächlich um eine längere Strafe gebeten.
Um eine längere.
Der Richter glaubte erst, er hätte sich verhört. Die Sache war so
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