Vater Unser in der Hölle: Durch Missbrauch in einer satanistischen Sekte zerbrach Angelas Seele (German Edition)
ungewöhnlich, dass sie schließlich in der Zeitung stand. So erfuhr die Gruppe davon.
Man wusste genau, wovor der Junge sich drücken wollte.
Unehrenhaft. So was gefällt Satan überhaupt nicht, sagten die Erwachsenen. Satan will Menschen haben, die nichts Dringenderes ersehnen, als ihm zu dienen. Mit Menschen, die sich ihm entziehen wollten, sich drücken, die feige sind und ängstlich, kann er nichts anfangen. Fluchtversuche sind absolut unehrenhaft. Solche Menschen müssen schwer bestraft werden.
Satan würde eine gerechte Strafe wissen.
Der Richter hatte keine Möglichkeit gesehen, dem Wunsch des Jungen zu entsprechen. So wurde er freigelassen, nachdem er seine reguläre Strafe abgesessen hatte.
Angela hörte nie wieder von ihm.
Verhandlung zwischen drei Personen über eine vierte, der derweil die Haare gebürstet werden
Früh am nächsten Morgen brachte Onkel Paul das Mädchen zu ihren Eltern zurück. Angelas Mutter war immer dankbar, wenn ihr jemand das Kind für einige Zeit abnahm. So war es auch diesmal gewesen.
Es war Ostersonntag.
Kirchgang.
Angela wurde gebadet, die Haare wurden ihr gewaschen und gefönt und gebürstet, bis sie seidig glänzten. Heute musste sie besonders fein aussehen, denn heute hatte sie eine besonders wichtige Aufgabe. Es war Stefanie, die sich darüber freute: Heute würde sie eine große Kerze durch die Kirche tragen, von ganz hinten nach vorn, durch die ganze Kirche, an allen Menschen vorbei. Und alle würden schauen, wenn sie die Kerze an ihnen vorbeitrug. Und sie würde im Chor singen. Sie war heute etwas ganz Besonderes.
»Nun steh doch still und zapple nicht so«, sagte die Mutter, während sie Angelas Haare bürstete, bis sie knisterten.
»Hm«, machte der Vater, der um die Ecke ins Badezimmer schaute, und strahlte seine Tochter an, »heute sieht mein Engelchen ja ganz besonders lecker aus.«
Und Stefanie strahlte zurück.
Er hatte arrangiert, dass sie die Kerze tragen durfte. Ihr lieber Papi. Der Pastor war sein Freund. Sein guter Freund. Da tut man sich schon gern mal einen Gefallen, besonders wenn man der Kleinen eine Freude machen kann.
Eine Hand wäscht die andere.
Nun schaute auch der Bruder der Mutter um die Ecke ins Bad.
»Was gibt es hier Leckeres zu sehen?«
Die ganze Familie kam heute zu Besuch, zwölf Personen. Der Braten war schon im Ofen.
»Ach«, erwiderte die Mutter, »die beiden schäkern schon wieder. Ich glaube, ich muss allmählich aufpassen, dass mir meine Tochter nicht den Mann wegnimmt.«
Ihr Tonfall war eine Gratwanderung zwischen lustig und gekränkt. Ein Scherz. Alle lachten, aber die, die ein Ohr für Zwischentöne hatten, horchten auf.
Der Bruder der Mutter hatte ein Ohr für Zwischentöne.
»Ja ja«, sagte er zu seiner Schwester, »was sich liebt, das neckt sich.«
»Na, ich weiß nicht«, ging sie auf ihn ein, ohne ihn anzusehen, sondern kämmte weiter an ihrer Tochter herum, »die beiden sind noch schlimmer als ein Liebespaar.«
Dann zog sie die große Schleife noch einmal fest, die das weiße Kleidchen ihrer Tochter hinten zusammenhielt.
»Ich weiß auch nicht, was mit ihr los ist«, sagte sie, heiternachdenklich, nahm ein Wattestäbchen aus dem rosa Plastikspender im Allibert-Schränckchen und begann, ihrer Tochter die Ohren zu säubern. »Mit mir hat sie einfach nichts im Sinn. Sie scheint Männer viel mehr zu lieben.«
Das war deutlich.
Der Bruder verlässt den Raum und verfolgt das Thema auf anderem Wege weiter.
Der Vater steht allein auf der Terrasse. Es ist noch kühl, aber wenn er raucht, geht er nach draußen.
Um des lieben Friedens willen.
Sein Schwager stellt sich neben ihn.
»Angela wird ja allmählich ein ganz reizendes Mädchen«, sagt er zum Mann seiner Schwester.
»Was heißt ›wird‹? Das ist sie doch schon lange.« Ganz der stolze Vater.
»Wer meine Tochter mal bekommt, der kann sich glücklich schätzen. Sie ist etwas ganz Besonderes.«
»Ja, das sieht man schon heute.«
»Ich bin wirklich stolz auf sie. Die weiß genau, wie man den Vater glücklich machen kann.«
Spätestens jetzt wissen beide Männer Bescheid.
Der Schwager weiß: Hier ist was möglich, was er nicht für möglich gehalten hätte.
Der Vater weiß: Der Schwager ist ein möglicher Interessent, was er nicht für möglich gehalten hätte.
Und die Mutter weiß genau, was zwischen den beiden Männern abgeht.
Falls sich einer von ihnen aber geirrt haben sollte: nichts für ungut. War doch nur ein ganz harmloses Gespräch.
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