Vater unser
etwa Stimmen, die das Verhalten der Person kommentieren, oder zwei oder mehr Stimmen, die sich unterhalten, bis zu 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 im Jahr ... in manchen Fällen Stimmen von bekannten Personen (i.e. Mutter, Vater, Geschwister, Freund, Lehrer), was die Unterscheidung von Wahnvorstellung und Wirklichkeit weiter erschwert...» ... katatones Verhalten ... psychomotorische Störungen ... Haltungsstereotypien, Stupor, Starre ...»
« ... Paranoia ... unbegründeter Verfolgungswahn ...»
« Schizophrenie nicht durch Labortests, CAT-Scans, Magnetresonanztomographie oder klinische Untersuchungen diagnostizierbar ...»
« ... Krankheitsverlauf beginnt früh ... Bei Männern bricht die Krankheit durchschnittlich zwischen 17 und 25 Jahren aus, bei Frauen etwa drei bis vier Jahre später ...» Nicht heilbar. Antipsychotische Medikamente wie Risperdal, Haldol, Mellaril, Clozaril. Schizophrenie. Natürlich hatte sie vor David Marquette von der Krankheit gehört, aber bisher wusste sie nicht mehr als das, was in der Zeitung stand oder in Gruselfilmen beschrieben wurde: dass Schizophrenie die Geisteskrankheit schlechthin war, Synonym für das Wort
« Wahnsinn», einsetzbar in den unterschiedlichsten Fällen, egal, ob es sich um Genies wie Vincent van Gogh handelte oder einen Menschen wie John Hinkley jr., der versucht hatte, Präsident Reagan zu ermorden, oder David Berkowitz, den Serienmörder
« Son of Sam». Die Krankheit brachte Menschen dazu, mitten auf der Straße zu schreien, kleine grüne Männchen zu sehen, Gott zu begegnen oder für andere unsichtbaren Regierungsbeamten, die sie um Mithilfe bei Geheimprojekten baten. Verwirrende Fakten und Statistiken rasten durch ihren Kopf. Während der letzten Tage hatte sie in Eigenregie einen Crashkurs über diese Geisterkrankheit gemacht, der ihr die Augen öffnete und zugleich eine Heidenangst einjagte. Etwa ein Prozent der Weltbevölkerung war von der Krankheit betroffen, davon mehr als 2,2 Millionen Amerikaner. In den USA waren mehr Menschen daran erkrankt als an Aids, multipler Sklerose und ALS zusammen. Doch trotz dieser enormen Verbreitung war die Krankheit alles andere als gesellschaftlich akzeptiert. Schizophrenie war immer noch ein Stigma, wie Lepra und die Pest. Ohne Vorwarnung traf die Krankheit junge, gesunde Menschen, raubte ihnen auf grausame Weise den Zugang zur Realität und verdammte sie zu einer furchteinflößenden, ungewissen Zukunft. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Betroffener innerhalb von zehn Jahren nach der Diagnose starb, lag bei über zehn Prozent. Mit fünfundzwanzig Prozent Wahrscheinlichkeit landete ein Betroffener in einem Pflegeheim, einer geschlossenen Anstalt oder auf der Straße. Die unsichtbare Krankheit machte keine Unterschiede – sie befiel Menschen jeder Hautfarbe, jeder Herkunft, Arme wie Reiche, Dumme wie Intelligente. Sie veränderte die gedanklichen Verarbeitungsprozesse und löste eine Art Fehlzündung im Gehirn aus, sodass die Gedanken im Kopf des Schizophrenen zwar logisch klangen, für andere Menschen jedoch keinen Sinn ergaben. Eine der grausamsten Wirkungen aber war, dass die Krankheit den Menschen die Fähigkeit raubte, zu begreifen, dass etwas mit ihnen nicht stimmte – ein klinisches Symptom, das als
« unzureichende Krankheitseinsicht» bezeichnet wurde. Für sie waren die Stimmen und Halluzinationen absolut real. Sie wussten nicht, dass sie krank waren, und begriffen nicht, warum der Rest der Welt den Kontakt mit ihnen mied. Wahrscheinlich gab es keine andere Krankheit, die den Betroffenen dermaßen entfremdete und isolierte. Julia hatte sich Wein aufgemacht, obwohl sie wusste, dass der Alkohol ihre Schlaflosigkeit nur verschlimmerte. Dafür half er, die Angstzustände und die Beklemmung zu mildern. Und wenn sie genug trank, würde sie wenigstens die Augen schließen und vergessen können. Sie ging ins Wohnzimmer und sah aus dem Fenster hinaus in die Nacht. Der Vollmond stand niedrig am Himmel – in grellem, ätherischem Orangegelb, mit Kratern gesprenkelt. Andy, warum schrumpft der Mond mit jeder Nacht?» Dumme Frage», seufzte er genervt, wie es nur ein älterer Bruder fertigbrachte.
Er schrumpft nicht, Juju. Er versteckt sich.» Sie schluckte ihren Stolz hinunter und fragte weiter:
Na gut, aber warum versteckt er sich?»
Damit ihn alle anschauen, wenn er wiederkommt», sagte er und blickte hinauf zu einem vollen gelben Mond vor dem Fenster, den fedrige Wolken umtanzten. Es sah alles so perfekt
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