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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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Lat.
« Ich habe deine Nachricht erhalten. Was ist los?»
« Ist Brill bei dir?», fragte Rick.
« Nein. Sollte er? Ich bearbeite einen Doppelmord in Westehester und verhöre gerade einen Drogendealer. Viele Grüße an die nette Staatsanwältin, du Schleimbeutel.»
« Du musst so schnell wie möglich herkommen, und Brill auch.»
« Was ist denn passiert?» Lat klang genervt.
« Falls du vorhast, wieder eine Pressekonferenz zu geben, muss ich vorher duschen.»
« Heute werde wohl nicht ich eine Pressekonferenz geben, sondern Mel Levenson», knurrte Rick.
« Er hat vor einer halben Stunde eine Bombe platzen lassen. Die Spermaflecken und Fußabdrücke kannst du vorläufig vergessen. Und deinen Drogendealer sowieso. Marquette plädiert auf Unzurechnungsfähigkeit.»
KAPITEL 40
    HUNDERTE VON DEMONSTRANTEN VOR DER US-BOTSCHAFT IN PARIS CHIRAC NENNT ANTRAG AUF TODESSTRAFE GEGEN GEISTESKRANKEN VERDÄCHTIGEN BEI FLORIDA-MASSAKER ‹BARBARISCH›  
    ES WAR zwar nicht die Titelseite, doch die Nachricht war in der New York Times gelandet. Und in der Washington Post. Und in der Chicago Tribune. Und der Los Angeles Times. Selbst Ann Curry war heute Morgen in der Today Show kurz darauf eingegangen. Über Nacht hatten Dr. David Marquette und das Massaker von Coral Gables, wie man es in Miami nannte, einen Quantensprung aus dem Lokalteil in die internationale Presse gemacht, und seitdem hatten die Telefone der Staatsanwaltschaft nicht aufgehört zu klingeln. Charley Rifkins Prophezeiung wurde anscheinend wahr. Doch anders als der Serienmörder Cupido, der wegen der grausigen Details und wahllosen Brutalität seiner Verbrechen die ganze Welt in Atem gehalten hatte, während er die Taskforce der Polizei 18 Monate lang an der Nase herumführte, war David Marquettes Fall auf politischer Ebene ein heißes Eisen. Ein internationales heißes Eisen, denn hier ging es um die Todesstrafe. Die Todesstrafe für einen psychisch kranken Ausländer. Man musste nur noch das nette Foto, den Doktortitel und die grausigen Details dazugeben, und schon hatte man alle Zutaten für einen spektakulären Mediensturm. Hier braut sich ein übler Sturm zusammen. Julia dachte wieder an Rifkins Prophezeiung. Es war noch zu früh, um zu sagen, ob das öffentliche Interesse bald verebben oder rasant zunehmen würde, doch nach den hochaufgerüsteten Übertragungswagen zu urteilen, die seit ein paar Tagen vor dem Graham Building standen, und der Todesstrafen-Debatte, welche beharrlich die internationalen Schlagzeilen beherrschte, war anzunehmen, dass David Marquettes fünfzehn Minuten des Ruhms noch nicht abgelaufen waren. Der Zirkus hatte seine Zelte aufgeschlagen. Die einzige Frage, die sich allen auf beiden Seiten der Glastüren des Graham Building stellte, war: Wie lange würde er bleiben? Sie nahm eine Zigarette aus der Bigbox, die sie sich auf dem Heimweg an der Tankstelle gekauft hatte, und zündete sie sich an. Während des Studiums hatte sie geraucht, und sie hatte fast ein Jahr gebraucht, um es sich abzugewöhnen. Als sie es endlich geschafft hatte, schwor sie sich, nie wieder eine Zigarette anzurühren. Aber nie wieder war eine lange Zeit, und jetzt brauchte sie etwas, das ihre Nerven beruhigte. Die Zigarette kam ihr vor wie ein alter, vertrauter Freund. Und die Möglichkeit, in zwanzig Jahren an Krebs zu erkranken, schien ihr im Moment ein vertretbares Risiko zu sein. Sie nahm einen tiefen Zug, ohne auch nur husten zu müssen. Bald würde sie sich einen Platz bei den redseligen Kettenrauchern in der
« Krebsstation» vor der Staatsanwaltschaft reservieren. Sie rieb sich die Augen und stand vom Küchentisch auf, wo sich medizinische und juristische Publikationen türmten, dazu Wörterbücher und die dicke, langweilige Fallrechtssammlung zur Unzurechnungsfähigkeit, die sie zusammengestellt und bereits ein paarmal überflogen hatte. Ihre Aufzeichnungen wirkten wie aus dem Notizbuch eines spleenigen Thrillerautors.
« ... Schwere Geisteskrankheit ... Störungen und Veränderungen des Denkens, Fühlens, Handelns und des Ich-Erlebens. Die Symptome sind verschiedenartig und weiten sich häufig zu einer Psychose aus ...»
« ... bizarre Wahnvorstellungen mit einer fehlenden oder gering ausgeprägten Krankheitseinsicht ...»
« ... in manchen Fällen der Schizophrenie aggressives, destruktives und gewalttätiges Verhalten, insbesondere bei Alkohol-oder Drogenmissbrauch oder Fehldosierung antipsychotischer Medikation ...»
« ... akustische Halluzinationen wie

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