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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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auf. Etwas Mächtiges sprang aus der Dunkelheit. Ein Hund, mit Maulkorb, die Augen weit vor Entsetzen, raste krachend über den Boden, durch den Flur, in die Diele und hinaus durch die offene Vordertür. Der Boden der Speisekammer war voller stinkender Exkr e mente und Urin und Lebensmittel, die der Hund aus den Regalen herabgerissen hatte, aber nicht fre s sen konnte.
    Danach wäre März gerne für einige Minuten still stehen gebliehen, um sich zu beruhigen. Aber er hatte keine Zeit. Er steckte die I.uger weg und untersuchte schnell die K ü che. Ein paar fettige Teller im Abwaschbecken. Auf dem Tisch eine Flasche Wodka, fast leer, daneben ein Glas. Es gab eine Tür in den Keller, aber sie war abgeschlossen; er entschloß sich, sie nicht aufzubrechen. Er stieg hinauf. Schlafzimmer, Badezimmer - überall die gleiche AtmoSphäre eines schäb i gen Luxus'; eines grandiosen Leben s stils, der verwahrlost war. Und überall gab es, bemerkte er, Bilder - Landschaften, religiöse Allegorien, Porträts - die meisten unter dicken Staubschichten. Das Haus war seit Monaten nicht mehr o r dentlich gereinigt worden, vielleicht seit Jahren.
    Das Zimmer, das wohl Bühlers Arbeitszimmer gewesen war, lag im obersten Stockwerk eines der Türme. Regale voller juristischer Bücher, Fallstudien, Gesetze. Ein großer Schreibtisch mit Drehsessel neben einem Fenster, das den rückwärtigen Rasen des Hauses überschaute. Ein langes Sofa mit gestapelten Decken, das so aussah, als sei darauf regelmäßig geschlafen worden. Und noch mehr Fotogr a fien. Bühler in Rechtsanwaltsrobe. Bühler in SS-Uniform. Bühler mit einer Gruppe von Nazi-Großkopfeten, von d e nen März einen undeutlich als Frank erkannte, in der ersten Reihe einer Veranstaltung, einem Konzert vielleicht. Alle Bilder schienen mindestens zwanzig Jahre alt zu sein.
    März setzte sich an den Schreibtisch und blickte aus dem Fenster. Der Rasen führte hinab zum Ufer der Havel. Dort gab es eine kleine Mole, an der ein Kabinenkreuzer vertäut war, und dahinter der freie Blick auf den See bis hin zum gegenüberliegenden Ufer. Weit in der Ferne t u ckerte die Fähre Kladow-Wannsee vorüber. Er wandte se i ne Aufmerksamkeit dem Schreibtisch selbst zu.
    Ein Tintenlöscher. Ein schweres Tintenfaß aus Messing. Ein Telefon. Er streckte die Hand danach aus. Es begann zu läuten.
    Seine Hand hing bewegungslos. Ein Läuten. Zwei. Drei. Die Stille des Hauses verstärkte den Klang; die staubige Luft vibrierte. Vier. Fünf. Er krümmte seine Finger über dem Hörer. Sechs. Sieben. Er nahm ab.
    »Bühler?« Die Stimme eines alten Mannes, mehr tot als lebendig; Geflüster aus einer anderen Welt. »Bühler? Sprich doch. Wer ist da?«
    März sagte: »Ein Freund.« Pause. Klick.
    Wer immer es war, er hatte aufgelegt. März legte den Hörer auf die Gabel. Dann begann er rasch die Schrei b tischschubladen aufzuziehen. Einige Bleistifte, etwas Schreibpapier, ein Wörterbuch. Er zog die unteren Schu b laden ganz heraus, eine nach der anderen, und tastete den Raum ab. Da war nichts. Da war etwas.
    Ganz hinten stießen seine Finger gegen einen kleinen und glatten Gegenstand. Er zog ihn heraus. Ein kleines N o tizbuch in schwarzem Leder, mit Hakenkreuz und Adler in Goldprägung auf dem Einband. Er blätterte es durch. Der Parteitaschenkalender 1964. Er schob ihn in seine Tasche und setzte die Schubladen wieder ein.
    Draußen spielte Bühlers Hund verrückt, rannte von e i nem Ende zum anderen am Ufer entlang, starrte über die Havel und wieherte wie ein Pferd. Alle paar Sekunden ließ er sich auf seinen Hinterbeinen nieder, ehe er seine ve r zweifelte Patrouille wieder aufnahm. Jetzt konnte er erke n nen, daß seine rechte Seite fast ganz von vertrocknetem Blut verklebt war. Als März zum See hinunterging, achtete der Hund nicht auf ihn.
    Die Absätze seiner Stiefel dröhnten auf den Planken der hölzernen Mole. Durch die Ritzen zwischen den wackel i gen Planken konnte er einen Meter tiefer das schlammige Wasser sehen, das ins Seichte schwappte. Am Ende der Mole stieg er in das Boot. Es schwankte unter seinem G e wicht. Einige Zentimeter Regenwasser standen auf dem Achterdeck, vermischt mit Dreck und Blättern, ein öliger Regenbogen auf der Oberfläche. Das ganze Boo t stank nach Benzin. Irgendwo mußte ein Leck sein. Er beugte sich hinab und versuchte die kleine Tür zur Kabine zu öffnen. Sie war verschlossen. Er wölbte seine Hände und sah durch das Fenster, aber es war drinnen zu dunkel, als daß er

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