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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Zöller
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hinter einer hochgewachsenen Hainbuchenhecke liegt das rot geklinkerte Gebäude im Schatten hoher Bäume. Ein breiter, sorgfältig geharkter Kiesweg führt zu dem geschwungenen Treppenaufgang. Die Eingangstür ist aus grün lackiertem Holz. Vor den eingesetzten Glasscheiben hängen geraffte Gardinen. Die Fenster sind geschlossen, ebenso die Vorhänge. Ich schaue hinauf zu den drei Dachgauben, hinter denen mein zukünftiges Zimmer liegen muss. Wie gerne würde ich jetzt mit Mathilda sprechen. Mit ihr zusammen unser neues Haus bestaunen, mit ihr mein Zimmer unter dem Dach einrichten. Ich trete kräftig in die Pedale und fahre zur Villa der Schuberts im Kanonengraben.
    Das Tor ist geschlossen, aber sonst sieht alles aus wie immer. Die Blendläden sind geöffnet. Nichts hat sich verändert. Es ist nur merkwürdig ruhig. Man sieht dem Haus an, dass niemand daheim ist. Ich läute, und niemand öffnet. In dem Moment schieben sich dicke Wolken vor die Sonne. Vielleicht sind die Schuberts einfach nur verreist, fährt es mir durch den Kopf.
    Auf dem Rückweg tue ich etwas, was ich mir selbst seit einiger Zeit verboten habe. Ich halte am Feuerlöschteich und lehne mein Fahrrad an einen Baum. Und tatsächlich! Da ist ein Brief in der Baumhöhle. Es ist nur ein abgerissenes Stück Papier mit eilig hingeschriebenen Worten.
Es ist etwas passiert … kann es nicht schreiben. Wir ziehen bald um. Kann mich nicht mit dir treffen. Ich schreibe dir bald ausführlich. Lenchen.
Wie lange liegt der Zettel hier schon?
    Mir ist klar, dass ich soeben mein Versprechen Vater gegenüber gebrochen habe. Noch könnte ich so tun, als wäre das nicht geschehen. Ich könnte mich einfach umdrehen und gehen. Stattdessen krame ich in meiner Tasche nach meinem kleinen Notizbuch, in das ich manchmal spontane Ideen für die Heimabende notiere, reiße ein Blatt heraus und schreibe:
Was ist passiert? Geht es dir gut? Stell dir vor, Vater hat für uns ein großes Haus in der Salzstraße gefunden. Ungefähr einen Steinwurf von unserem Briefkasten entfernt! Ich warte auf eine Nachricht von dir. Fundevogel.

6. Die Büchersammler
    Um mich herum sind so viele Veränderungen spürbar. Zum Beispiel in der Schule. Die Schulleitung hat angekündigt, dass im Herbst der Unterricht erst um neun Uhr beginnt und wegen der Verdunkelung bis halb zehn Uhr kein Licht angemacht werden darf. Die Sommerzeit gilt auch im Winter weiter. Also wird die erste Schulstunde im Morgengrauen stattfinden. Und wenn in der Nacht Alarm ist, dürfen wir später kommen. Manchmal ist schon nach zwei Schulstunden der Unterricht beendet.
    Immer häufiger werden wir bei Hilfsdiensten eingesetzt. In Kindergärten, in der Landwirtschaft, egal wo. Es gibt immer Wichtigeres als die Schule. So auch im BDM , wo der Kalender bis Weihnachten mit Terminen prall gefüllt ist. Neben den zwei festen Terminen am Mittwoch und Samstag sind außerdem eine Reihe von sportlichen Ereignissen, politische Veranstaltungen und Musikdarbietungen eingetragen.
    In den wenigen verbleibenden Unterrichtsstunden kommen wir mit dem Stoff nur langsam voran. Fräulein Steinbrede erklärt immer noch die Mendel’schen Gesetze. Im Deutschunterricht sprechen wir über »Natur und Wirklichkeit in der Dichtung« der Annette von Droste-Hülshoff. Herr Ackermann spricht weiter mit uns über die Aufklärung und lässt sich ab und zu auf Diskussionen mit Franziska ein. Je näher ihr Umzug nach Berlin rückt, umso heftiger wird sie in ihrer Verehrung für Führer und Partei.
    Zu Hause geht das Leben seinen Gang. Der Umzug rückt näher, und wir sind viel mit dem Packen beschäftigt. Mama erzählt, dass wir das neue Haus mitsamt seiner Einrichtung übernehmen und dass nur einige Neuanschaffungen fällig werden. Wir nehmen deshalb nicht viel mit. Das Klavier, die Eckbank, die Küchenstühle und den Küchentisch. Und natürlich unsere persönlichen Dinge.
    »In der Villa gibt es alles, was wir brauchen«, sagt mein Vater stolz.
In der Villa.
Wie sich das anhört. Von der Sonnenstraße in die Salzstraße. Das hört sich nach Verschlechterung an. Eigentlich müsste es heißen, von der Sonnenstraße auf die Sonnenseite. Die Salzstraße ist nämlich eine sehr vornehme Straße mit Geschäften, Kaufhäusern und etlichen Wohnhäusern, die kleinen Palästen gleichen. Und dann ist da noch der Erbdrostenhof, ein prächtiges barockes Schloss mitten in der Stadt.
    Ich würde gerne die Menschen kennenlernen, die aus unserem neuen Haus ausziehen und

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