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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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gesagt. Mit PH.
    »Ich habe an etwas Nettes, Normales gedacht«, erwidert sie. »Wie Jack.«
     
    Das Skalpell schneidet ihren Bauch von oben nach unten auf, aber sie spürt es nicht, sie ist von der Narkose völlig benebelt. Ihre ganze untere Körperhälfte ist spinal betäubt – von der Nadel, die sie ihr ins Rückenmark eingeführt haben. Dabei musste sie vornübergebeugt dasitzen, den Rücken gewölbt, damit sie an einen Wirbel herankamen. Und nun kann sie nicht einmal mehr sehen, was sie machen, denn ein Abdecktuch versperrt ihr die Sicht auf ihren offenen blutigen Unterleib. Das Schamhaar wurde ihr abrasiert, ein Katheter in die Blase gelegt, und ihr bleibt nur die Frage, wie groß die Narbe sein wird. Sie spürt ein leichtes Drücken und Ziehen – keine Schmerzen, nur ein sonderbares Hin und Her in ihrem Innern. Eigentlich macht sie sich wegen der Narbe keine Sorgen, aber sie weiß, dass der Schnitt fünfzehn Zentimeter lang ist und dass sie die längste Zeit damit beschäftigt sein werden, die Plazenta und die Membrane zu entfernen und danach die vielen Schichten der Gebärmutter zu nähen  – Muskeln, Fett und Haut. Sie hat sich informiert, und zwar ausgiebig, die anästhesierte Anna, Anna Anästhesia, weil sie damit gerechnet hat, dass es darauf hinauslaufen wird, denn schließlich ist sie noch recht jung. Nicht zu vergessen die Risiken wie bei jeder anderen Operation – Narbe, Wundinfektion, Blutgerinnsel, beeinträchtigte Darmfunktion, Blutverlust oder Verletzung der Organe in der Nähe der Gebärmutter, wie beispielsweise die Blase; und liegt die Milz nicht auch neben der Gebärmutter? Sie weiß es nicht, wer zum Teufel weiß schon, zu was die Milz überhaupt gut ist, solange sie die Milz nicht aus Versehen entfernen, aber das ist lächerlich, Anna, es dürfte nur zehn Minuten dauern, bis sie das ganze Fruchtwasser abgesaugt und ihren Sohn aus ihr herausgezaubert haben, und dann müssen sie nur noch die Wunde nähen, sie wieder schön ordentlich verschließen, Anna, Phreedom, Inanna, Anna, Anästhesia ...
     
    Er streicht ihr mit der Hand über den Bauch, sie fühlt sich rau und schwielig an auf ihrer weichen Haut, und sie greift nach ihr und hält sie fest, direkt über der Narbe auf dem Bikinistreifen. Seine Finger, seine Hände sind kräftig geworden, die Haut vom Alter verwittert, und wie gedankenverloren fährt sie ihm über die Knöchel, über den Bogen zwischen Daumen und Zeigefinger, über das mit Nieten besetzte Lederarmband und über seine Unterarmmuskeln, die feinen dunklen Haare. Sie dreht sich herum und legt sich auf ihn. Ihre Hand folgt der Wölbung seiner Bizeps und Trizeps, die nach Jahrzehnten harter Arbeit und schwerer Kämpfe deutlich hervortreten. Sie sind jetzt so fest wie die Muskeln eines Bergarbeiters, überhaupt nicht mehr wie die Muskeln des Jungen, den sie einmal gekannt hat – der liebe zarte Don, der Tom in so vieler Hinsicht zu gleichen schien, als sie ihn kennenlernte. Und je älter er wurde, desto ähnlicher wurde er Finnan, aber inzwischen muss er sich hinter niemandem mehr verstecken.
    Er schnippt eine summende Fliege von ihrem Ohr fort.
    »Was hast du vor?«, fragt er belustigt.
    »Nichts«, erwidert sie.
    Auf ihrer Reise durch den Wahnsinn, der einmal die Wirklichkeit war, seit sie sich während der Evakuierung von New York das erste Mal begegneten, ist das zu so etwas wie ihrem Mantra geworden. Damals hatte sie auf Heroin völlig den Verstand verloren und heulte ununterbrochen, weil sie auch Jack verloren hatte, weil sie ihn abgeholt hatten. Denn ganz gleich, wie sehr die Welt auf den Hund gekommen sein mochte, die Leute klammerten sich weiterhin an die Bürokratie, als würde sie noch eine Rolle spielen. Was machen wir jetzt?, würde sie fragen. Nichts. Was haben wir denn noch zu verlieren? Nichts.
    Sie richtet sich auf und kommt rittlings auf seiner breiten Brust zu sitzen. Ihr Blick ruht auf seinen ergrauenden Schläfen. Eigentlich sollte sie Angst davor haben, dass er älter und hinfälliger wird, aber er wirkt kräftiger denn je. Mit seinen grauen Haaren gleicht er dem Anführer eines Wolfsrudels, stets bereit, einen Emporkömmling anzuknurren, der so dumm ist, ihn herauszufordern. Mit fortgeschrittenem Alter sieht er weit besser aus als in seiner Jugend, wie ein Templer mit grau meliertem Bart. Ein in die Jahre gekommener Ritter.
    »Don Coyote«, sagt er.
    Mit rauer Hand streicht er ihr über den Brustkorb, umfasst ihre Brüste.
    »Wie spät ist

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