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Vellum: Roman (German Edition)

Vellum: Roman (German Edition)

Titel: Vellum: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hal Duncan
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Kristallkaraffe in das Glas auf dem Tischchen gießt und sich dann wieder umwendet. Carter beobachtet ihn, und ihm ist ganz übel vor Angst und Schuldgefühlen und Verwirrung. Das ist er nicht. Das ist nicht dieser Messenger. Unmöglich. Da haben ihm seine schwachen Nerven etwas vorgegaukelt. Da hat nur sein Gewissen nach einer Möglichkeit gesucht, ihm wieder wehzutun, und machte sich seine schlechte Verfassung zunutze, diese verdammte griechische Krankheit. Ein Junge mit kastanienbraunem Haar und sanften dunklen Augen, einem anderen so ähnlich, dass sein Anblick eine Erinnerung ausgelöst hat, die zu grässlich ist, um nur als beiläufiger Gedanke abgetan zu werden. Carter hat die Arbeiten von Rivers über den Zusammenhang von Verdrängung und Halluzinationen gelesen, und er hat eine Ahnung von den Mechanismen, die dem zugrunde liegen, aber das tröstet ihn nicht, wenn er das Gesicht eines Jungen, den er vor das Erschießungskommando gebracht hat, in einem Kellner wiedererkennt, der ihm an einem regnerischen Sonntagnachmittag in einem Londoner Herrenklub einen Port einschenkt. Der Tod hat hier einfach nichts zu suchen, weder in Gestalt von über den Piccadilly verstreuten Leichen, noch als wunderschönes Gesicht, das zu einem schicken weißen Jackett gehört.
    »Entschuldige«, sagt er und hat auf einmal einen bitteren Geschmack im Mund. »Entschuldige. Ich dachte nur, ich hätte jemanden gesehen, den ich kannte ... in Frankreich ... jemand, der gestorben ist.«
    Er lacht, heiser, nervös.
    »Ich bin eben etwas durch den Wind. Wahrscheinlich sehe ich so aus, als wäre ich einem Gespenst begegnet.«
    »Du solltest nicht so viel über die Vergangenheit nachgrübeln«, sagt Pickering. »Weißt du, sie haben dich Mad Jack Carter genannt, weil du dauernd über Homer geschwafelt hast. Auf die Zukunft kommt es an, alter Junge.«
    »Die Zukunft ruht auf den Ruinen der Vergangenheit, und darin wohnen auch ihre Geister.«
    »Je nun«, sagt Pickering, »vielleicht sollten wir die Geister mal ordentlich austreiben.«

2
Der gefundene Prometheus
    Die Tagebücher des Jack Carter, 1921
     
    7. März 1921. Gestern zu später Stunde haben wir die Vorbereitungen in Tiflis abgeschlossen. Heute Morgen, als wir aufbrachen, war es kühl und frisch. Wir sind der alten georgischen Heeresstraße gefolgt, die den Aragvi entlang nach Norden verläuft, den Ausläufern des Kasbek entgegen. Der Himmel ist klar, die Luft schneidend kalt — ein gutes Zeichen, denn hier schlägt das Wetter für gewöhnlich nicht so schnell um wie in den Alpen, sondern bleibt meist ein, zwei Wochen stabil. Und gutes Wetter können wir wirklich gebrauchen, denn unser Marsch führt über die hohen Pässe und steilen Grate des Zentralkaukasus.
     
    Professor Hobbsbaum und ich sind die einzigen Archäologen dieser Exkursion. Wir haben ein paar ortsansässige Eseltreiber angeheuert und einen Führer, aber in der Hauptsache besteht unsere Gesellschaft aus der Eskorte, die Hobbsbaum für nötig befunden hat, ein gemischter Söldnertrupp aus Weißrussen, Georgiern und ossetischen Nationalisten und obendrein noch ein paar von unseren Landsleuten. Ich habe keine Ahnung, in welchem Regiment die Briten gedient haben — ich habe sie nicht gefragt —, aber ich könnte schwören, sie damals in Flandern vor einem Kriegsgericht gesehen zu haben ... ein Fall von Plünderei, glaube ich. Es würde mich nicht überraschen, sollte sich herausstellen, dass sie Deserteure sind.
     
    Wenn ich mir ihren Anführer, ›Hauptmann‹ Pechorin, mit seinem Rasputinbart, den Narben und den schweren Lidern so anschaue, hege ich eher die Befürchtung, dass Hobbsbaum und mir größere Gefahr von unseren ›Kameraden‹ droht als von den Roten oder den hiesigen Banditen. Sie trinken mehr, als sie essen, und sie streiten sich mehr, als sie trinken. Anscheinend ist das in dieser Gegend so üblich. Die Weißen sind für ihre mangelnde Disziplin berüchtigt, und ihr Bündnis mit den Nationalisten ist nicht eben stabil. Hobbsbaum hat mir erklärt, die Route, der wir folgen werden, sei ›im Augenblick sicher‹, aber ich bezweifle das. Die Rote Armee kann die Fronten jeden Moment überrennen und diese winzigen Staaten zurückerobern.
     
    Nun denn, ein Abenteuer wird es auf jeden Fall. Ich hoffe nur, unsere Bemühungen sind nicht umsonst. Bisher konnte ich mich noch nicht aufraffen, dem Professor von meinen Zweifeln zu erzählen, aber ihm muss einfach klar sein, wie absurd sein Plan ist. Im Kaukasus

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