Velten & Marcks - Mordfall Tina Hofer (German Edition)
aus.“
„Warum nicht? Ein Totschlag im Affekt ist statistisch gesehen viel wahrscheinlicher als der gemeinschaftlich begangene Mord einer Gruppe finsterer Gestalten, denen Tina zu sehr auf die Pelle gerückt ist.“ Er deutete in Richtung des Treppenhauses: „Lass und schon einmal nach oben gehen. Wir sind zwar etwas früh dran, aber vielleicht hat die Eiserne Regina ja schon Zeit für uns.“
„ Eiserne Regina , ist das eine Beleidigung oder doch eher ein Spitzname, der Respekt zum Ausdruck bringt“, fragte Katja, als sie mit Velten die Treppe nahm.
„Das kommt darauf an, wen man fragt. Ihre politischen Gegner hassen sie, da sie sie im Rat regelmäßig wie Dorfdeppen aussehen lässt und weil sie ihre Ziele rücksichtslos durchsetzt. Die meisten Parteifreunde schätzen es, dass sie die Fraktion fest im Griff hat. In so einem Laden gibt es immer ein paar irrlichternde Figuren, die es im Zaum zu halten gilt. Die Kerner duldet es nicht, dass jemand auch nur einen Fußbreit aus der Reihe tanzt. Wer es doch wagt, bekommt zuerst einen Rüffel. Wiederholungstäter finden sich bei der nächsten Kommunalwahl garantiert am Südpol der Kandidatenliste wieder, falls sie überhaupt noch einmal aufgestellt werden.“
„Finde ich gut, dass eine Frau den Kerlen einmal zeigt, wo der Hammer hängt. In dieser Stadt ist ja bis auf das Polizeipräsidium sonst alles noch fest in Männerhand.“
„Sehe ich im Prinzip auch so“, stimmte Velten zu. „Allerdings unterscheidet sich ihr Führungsstil nicht sehr von dem von den Kerlen.“ Er hatte den Aufstieg der willensstarken Politikerin immer mit einer Mischung aus Respekt und einem gewissen Frösteln verfolgt. Anfangs sahen viele Konservative die Karriere von Regina Kerner schon als beendet an, bevor sie richtig begann. Unverheiratete, berufstätige Mütter entsprachen überhaupt nicht dem Bild, dass sich die ergrauten Honoratioren in jener Zeit von der Rolle der Frau machten. Doch sie scherte sich nicht um solche Vorbehalte, sondern nutzte ihre Intelligenz und eine gehörige Portion Skrupellosigkeit, um sich an die Spitze der Fraktion zu setzen. Als sie dann auch noch dem langjährigen Landtagsabgeordneten in einer Kampfabstimmung den Wahlkreis abnahm, war jedem klar, dass die Eiserne Regina auf dem Weg nach oben keine Gefangenen machte.
Sie erreichten die Büros der konservativen Ratsfraktion. Velten klopfte. Nach wenigen Sekunden wurde die Tür von einem Mitarbeiter der Abgeordneten geöffnet. Er kannte den dicklichen Enddreißiger mit den raspelkurzen Haaren flüchtig, kam aber nicht auf seinen Namen.
„Herr Velten, Sie sind etwas zu früh. Frau Kerner ist noch unterwegs.“
„Ich weiß. Darf ich Ihnen meine Kollegin Katja Marcks vorstellen.“
Die beiden schüttelten sich die Hand. „Ich bin Jörg Schindhard, persönlicher Assistent der Landtagsabgeordneten Regina Kerner. Vielleicht wollen Sie ja schon im Konferenzraum warten. Sie wird sicher in wenigen Minuten hier sein.“ Er hängte die Jacken in eine Garderobe und führte sie in ein kleines Besprechungszimmer, wo er sie mit Kaffee und Keksen allein ließ.
„Schleimiger Typ“, urteilte Katja, während sie ihren Tablet einschaltete. „Ist er wichtig?“
„Nein. Er trägt der Eisernen Regina den Aktenkoffer hinterher und macht sich auch sonstwie nützlich. Normalerweise arbeitet er in ihrem Abgeordnetenbüro und nicht hier bei der Fraktion.“
Nach kaum fünf Minuten öffnete sich die Tür und Regina Kerner trat ein. „Herr Velten, Frau Marcks, tut mir leid, dass Sie warten mussten.“ Die Politikerin gab beiden Journalisten die Hand. Velten fielen einmal mehr ihre tiefgrünen Augen auf, die ihn durchdringend musterten. Ihr konzentrierter Blick und der feste Händedruck vermittelten den Eindruck einer Frau, die es gewohnt war, anderen gegenüber ihren Willen durchzusetzen.
Die große, schlanke Endfünfzigerin hatte das blond gefärbte, schulterlange Haar nach hinten gefönt. Sie war nur leicht geschminkt und trug außer dezenten Perlenohrsteckern keinen Schmuck. Ihre kühle Ausstrahlung wurde durch das anthrazitfarbene Businesskostüm noch betont. Während andere Politiker sich vor allem vor Wahlen gerne volkstümlich gaben und sich in betont guter Laune unter das Wahlvolk mischten, verzichtete die Eiserne Regina auf solche Anbiederungen. Sie gab sich keine Mühe, die Distanz zwischen sich und den gemeinen Waldenthalern zu überbrücken. Auf diese Weise erwarb sie sich zwar keine besondere Beliebtheit,
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