Venezianische Verführung (German Edition)
Pietro war ganz eindeutig ein Feigling.
»Ich gehe, für heute. Doch du wirst es noch bereuen, dich nicht für mich entschieden zu haben.« Pietro ging davon und verschwand hinter der nächsten Häuserbiegung.
Den Rest des Weges legten Aurora und Sergio schweigend zurück. Was er wohl jetzt von ihr dachte?
»Da wären wir.« Ihre Stimme bebte von den widerstreitenden Gefühlen in ihr.
»Ihr Haus?«
»Das meines Vaters. Eigentlich gehörte es meiner Stiefmutter, doch ich konnte einen Teil meiner Kindheit darin verbringen.« Die Erinnerung an Eleonora und ihren Vater brachte den Verlustschmerz zurück. Die Zeit heilte nicht alle Wunden.
»Danke, Sior Nera.«
»Es war mir eine Freude. Einen schönen Tag, Siora.« Sein Lächeln war offen, nicht so sarkastisch wie Leandros häufig. Er wirkte unglaublich jung und attraktiv damit. Er nickte ihr zu, wandte sich um und ging davon.
* * *
Landro kam auch in den folgenden Tagen nicht nach Hause. Aurora begegnete Signor Nera häufiger, nach dem Kirchengang, beim Stadtbummel und einmal, als sie auf der Rialto Brücke stand und hinabstarrte in die Fluten, die an anderer Stelle ins Meer strömten; das Meer, das sie mit Leandro verband, der irgendwo vielleicht ebenso auf eine Wasserfläche blickte. Warum hatte er ihr nicht geschrieben? Aurora betrat ihr Elternhaus, das nun das ihres Ehemannes war.
»Wer war dieser Mann, der dich anstarrte, als würde er dich gleich ausziehen wollen?« fragte Leandro, der im Flur stand. Er trug noch seine staubige Reisekleidung. Eine dunkle Locke hing ihm ins Gesicht.
»Ein Bekannter.«
»Ich mag es nicht, wenn du während meiner Abwesenheit mit anderen Männern zusammen bist.«
Aurora lächelte. Offenbar war er eifersüchtig – ein gutes Zeichen, dass sie ihm nicht ganz gleichgültig war. Oder war es nur Besitzdenken? Sie wusste es nicht, denn seine Miene gab nichts zu erkennen. »Er ist wirklich nur ein Bekannter«, sagte sie. »Du bist ja fast nie zu Hause.«
»Ich tue es für dich. Das wird sich bessern, sobald ich die Angelegenheiten deines Vaters geregelt habe. Hätte er sorgfältiger gearbeitet, müsste ich jetzt nicht so viel reisen, um es in Ordnung zu bringen.«
»Du willst doch nicht etwa behaupten, mein Vater hätte unsauber gearbeitet?« Aufgebracht sah sie ihn an.
»Ich behaupte gar nichts. Es ist eine Tatsache, dass dein Vater unsauber gearbeitet hat.«
Aurora verzog ihren Mund zu einem Schmollen. »Eine Frau war hier, eine deiner Mätressen, die du geschwängert hast.«
Seine Miene verhärtete sich. »Welche Mätresse?«
Aurora stemmte die Hände in die Hüften. »Wie viele hast du denn?«
»Ihr Name?«
»Emma Berardino.«
»Kenn ich nicht.«
Sie erbleichte. »Du weißt nicht mal die Namen derer, mit denen du ins Bett gestiegen bist?«
»Willst du das wirklich wissen?« Sein Blick war dunkler als zuvor.
Aurora nickte.
»Nein«, sagte er. »Nein, ich weiß nicht alle Namen.«
Auroras Mund klappte auf. Ihr fehlten die Worte. Doch sie fing sich wieder. »Sie wohnt links neben der Osteria ›Da Piero‹.«
»Ich werde diese Dame besuchen und die Sache klären«, sagte Leandro und schritt in Richtung der Tür.
»Ich gehe mit.«
»Das wirst du nicht tun.«
»Das kannst du nicht verhindern.« Sie eilte ihm nach, was nicht einfach war, da ihr Reifrock größere Schritte behinderte. Sie würde sich nicht abwimmeln lassen. Diese Angelegenheit ging ihr genauso viel an wie ihm.
Nach ein paar Minuten erreichten sie besagte Osteria, die offen stand.
Gäste saßen vor dem Haus an Tischen unter einer begrünten Bedachung.
Ein Kellner schenkte Wein aus.
Leandro beachtete sie nicht. Zielstrebig eilte er weiter, bis er vor einer dunkelbraunen Tür ankam. Das Holz war fleckig von der feuchten Salzwasserluft. Ohne zu zögern, klopfte er kräftig an. Wenig später öffnete ihm ein gebücktes, altes Weib.
Sie taxierte Leandro und sie unfreundlich. »Was wollen Sie?« fragte sie.
»Emma Berardino sprechen.« Leandros Tonfall klang gefasst. Auch in seiner Mimik war die Aufruhr, die er empfinden musste, nicht zu erkennen.
Die Alte ging ins Haus, ohne sie hineinzubeten. Wenig später kam sie wieder zurück.
»Folgen Sie mir«, sagte sie in mürrischem Tonfall.
Aurora fühlte sich befangen, das Haus von Leandros ehemaliger Mätresse zu betreten. Der ranzige Geruch von Talglampen brannte in ihrer Nase. Sie unterdrückte ein Niesen und den Ekel, den sie empfand vor der muffigen Luft im Haus. Nichts würde sie hier
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