Venezianische Verlobung
Hatte sie irgendeine Anstel lung?»
Signora Saviottis schmale Lippen verzogen sich zu einem verkniffenen Lächeln. «Sie musste nicht arbeiten.»
«Warum nicht?»
«Weil sie verlobt war.» Sie zog das Wort «verlobt» ironisch in die Länge. «Ihr Verlobter hat alles das hier bezahlt.»
Eine ihrer dünnen Hände löste sich aus der Verstrickung mit der anderen und machte eine vage Bewegung in den Raum hinein.
«Können Sie mir den Namen des Mannes nennen?»
«Nein.»
«War der Verlobte von Signorina Slataper oft hier?»
«Vielleicht einmal in der Woche. Aber das kann ich schwer sagen, denn sie hat das Bett immer selber gemacht.»
«Haben Sie ihren Verlobten einmal gesehen?»
«Nein. Die Signorina hat immer vermieden, dass irgendjemand außer ihr selbst mit ihrem Verlobten in Kontakt kam.»
«Meinen Sie, dass einer der Anwohner ihn gesehen haben könnte?»
Signora Saviotti schüttelte den Kopf. «Das glaube ich nicht. Er hat vermutlich immer das Wassertor benutzt, wenn er Signorina Slataper besucht hat. Es gab für ihn keine Notwendigkeit, den Hof zu durchqueren.»
Tron lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. «Das klingt al les so, als hätten Sie Signorina Slataper nicht besonders gut gekannt – obwohl Sie sie alle zwei Tage besucht haben.»
Signora Saviotti bedachte Tron mit einem Lächeln, das so dünn war wie ihre Finger. «So ist es. Das habe ich auch nicht. Sie war sehr zurückhaltend.»
«Aber Bekannte muss sie doch gehabt haben – Freunde.»
Signora Saviotti überlegte einen Moment. «Höchstens Pater Maurice», sagte sie langsam.
Tron hob fragend die Augenbrauen. «Pater Maurice?»
Signora Saviotti nickte. «Der Pater war ihr Beichtvater.
Ich hatte den Eindruck, dass Signorina Slataper bisweilen mit ihm plauderte.»
«Wo finde ich Pater Maurice?», erkundigte sich Tron.
«Er ist Priester in Santa Maria Zobenigo», sagte Signora Saviotti.
Sie hob den Kopf, und einen Moment lang begegneten sich ihre Blicke. Tron fiel auf, dass ihre Augen die Farbe jener Pilze hatten, die einen schon beim Sammeln vergifteten.
Er stand auf. «Ich danke Ihnen, Signora, dass Sie sich Zeit für meine Fragen genommen haben», sagte er.
Die nächste Stunde verbrachte Tron damit, die Wohnung der Toten zu durchsuchen. Seine Hoffnung, etwas zu finden, das ihm weiterhelfen würde, vielleicht sogar einen Hinweis auf die Identität des geheimnisvollen Verlobten geben könnte, erfüllte sich nicht. Eine Korrespondenz schien Anna Slataper nicht geführt zu haben. Tron fand weder an sie gerichtete Briefe noch Schreibpapier, Tinte und Feder. Im Schlafzimmer lag auf einem Regal ein groß formatiges, mit einem Riemen umbundenes Exemplar der Promessi Sposi, der «Verlobten» von Alessandro Manzoni, was aber nicht heißen musste, dass das Buch Anna Slataper gehört hatte – der Roman konnte ebenso gut von ihrem Verlobten stammen.
Trons erster Eindruck, dass Anna Slataper weder reich noch arm gewesen war, bestätigte sich. Auffällig war, dass ein halbes Dutzend teurer, zum Teil in Paris gefertigter Kleider in ihrem Schrank hing, was darauf schließen ließ, dass ihr Verlobter weder arm noch knauserig gewesen war.
Dass es sich aber tatsächlich um einen Verlobten gehandelt hatte, erschien Tron inzwischen mehr als fraglich. Vielmehr deutete viel darauf hin, dass Anna Slataper die Geliebte eines Mannes gewesen war, der gute Gründe gehabt hatte, dieses Verhältnis geheim zu halten. Nirgendwo gab es ein Kistchen mit Zigarren oder eine Cognacflasche, ganz zu schweigen von Hausschuhen, männlicher Unterwäsche oder Rasierzeug. Wer immer die junge Frau regelmäßig besucht hatte, wollte offenbar nicht, dass diese Bekanntschaft publik wurde, und hatte sorgfältig darauf geachtet, keine Spuren zu hinterlassen. Genau so, dachte Tron, wie der Mörder Anna Slatapers.
Dr. Lionardo, zwei Leichenträger im Schlepptau, erschien kurz vor drei Uhr, in der Hand seine obligatorische schwarze Ledertasche, auf dem Gesicht den zufriedenen Ausdruck eines Mannes, der seinen Beruf liebt.
« Buon giorno, Commissario », sagte er fröhlich. Er feuerte seinen Mantel auf den Kleiderhaken, wo er sich verfing und schlaff herunterhing wie die Mundwinkel Vazzonis. Der, wie Tron wusste, konnte den dottore nicht ausstehen.
Dann stellte Dr. Lionardo seine schwarze Tasche ab, streifte sich ein Paar weiße Baumwollhandschuhe über und ging, ohne ein weiteres Wort mit Tron zu wechseln, neben der Leiche in die Knie. Wieder
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