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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Verwandte? Womöglich einen Geliebten? Und – diese Frage drängte sich Tron förmlich auf – hatte sie Nutzen aus ihrer unbestreitbaren Schönheit gezogen? Oder waren ihr diese Haut aus Porzellan und der feine Schwung ihrer Augenbrauen  womöglich zum Verhängnis geworden?
    Tron wusste, dass Mordfälle, deren Aufklärung kompli zierten Schachproblemen glichen, außerordentlich selten waren. Meistens ging es entweder um Liebe oder um Geld – oder um beides zugleich. Erfahrungsgemäß reichten ein paar Gespräche im Umfeld der ermordeten Person, um auf ein plausibles Motiv zu stoßen. Danach war das Ergreifen des Täters nicht komplizierter als das Öffnen einer Pralinenschachtel.

    Signora Saviotti saß in aufrechter Haltung auf einem Stuhl,  als Tron das Wohnzimmer betrat, und beschränkte ihre  Begrüßung auf ein gemessenes Neigen des Kopfes. Den  Rücken gerade wie ein Schwert und die dünnen, spinnen artigen Hände auf ihrem Schoß gefaltet, vermittelte sie den Eindruck, als hätte sie Besseres zu tun, als hier auszuharren und auf den Commissario zu warten, nehme dieses Opfer aber höheren Gesichtspunkten zuliebe geduldig auf sich – immerhin ging es um die Aufklärung eines Mordes.
    Alles an Signora Saviotti war gestriegelt, gebürstet und geplättet, von ihren zu einem hohen Dutt getürmten grauen Haaren bis zu dem gestärkten Taschentuch, das aus dem Ärmel ihres schwarzen Wollkleides herausragte. Ihre Gesichtshaut hingegen war so weiß wie Papier, ihr Mund ein dünner Strich und das Kinn darunter viel zu klein für ihr Gesicht. Eine Dame, vermutete Tron, mit spärlichem Einkommen, vielleicht die Witwe eines kleinen Beamten, die gezwungen war, ihre karge Pension etwas aufzubessern.
    Tron schätzte sie auf etwa sechzig.
    «Signora Saviotti?» Er blieb stehen und deutete eine höfliche Verbeugung an.
    Wieder beschränkte sich die Reaktion Signora Saviottis
    darauf, gemessen mit dem Kopf zu nicken. Eine ihrer krallenartigen Hände fuhr mit einer ruckhaften Bewegung über ihren Dutt, so als würde sie ihre Frisur richten.
    «Es war gewiss schrecklich für Sie, Signorina Slataper so zu finden», leitete Tron das Gespräch ein.
    Signora Saviottis Mundwinkel zogen sich millimeterfein  nach oben, was für sie wahrscheinlich einem herzhaften  Gelächter gleichkam. Dann sagte sie: «Der Tod hat immer etwas Schreckliches, Commissario.» Tron hatte eine dünne, körperlose Stimme erwartet, aber die Stimme von Signora Saviotti war dunkel und erstaunlich volltönend.

    «Mein Sergente hat mir gesagt, dass Sie alle zwei Tage  gekommen sind, um der Signorina zur Hand zu gehen.»
    Die Vermeidung des Wortes «putzen» schien Signora  Saviotti zu gefallen. Ihr Rückgrat verlor ein wenig von seiner Steife. «Das ist richtig», sagte sie.
    «Das letzte Mal sind Sie wann bei ihr gewesen?»
    «Vor zwei Tagen. Ich komme immer gegen ein Uhr.
    Dann klopfe ich an, und sie öffnet mir.»
    «Und heute?»
    «Hat niemand geöffnet. Das kommt hin und wieder vor,  wenn Signorina Slataper nicht zu Hause ist. Für diesen Fall habe ich einen Schlüssel.»
    Tron stellte fest, dass Signora Saviotti die Angewohnheit hatte, nach jedem Satz ihren schmalen Mund zu  schürzen und dabei leicht mit dem Kopf zu wackeln, was  ihren hochgetürmten Dutt jedes Mal in eine schwankende  Bewegung versetzte. Er sagte: «Den Sie heute benutzt haben.»
    Jetzt wippte Signora Saviottis Dutt nach vorne. «Ich  dachte zuerst, Signorina Slataper wäre gestürzt und hätte sich verletzt, aber dann konnte ich sehen, dass sie tot war.»
    «Waren Sie in der Wohnung?»
    Die Antwort kam so schnell, als hätte Signora Saviotti  bereits auf diese Frage gewartet. Für einen kurzen Augenblick konnte Tron ein leichtes Flackern in ihren hellbraunen Augen sehen. «Nur an der Tür», sagte Signora Saviotti.
    «Ich habe sofort wieder abgeschlossen und bin zur Wache gelaufen.»
    Tron beschränkte sich darauf zu nicken. Dann stellte er die Frage, die sich nun nicht länger aufschieben ließ: «Hatte Signorina Slataper Verwandte in Venedig? Gibt es jemanden, den wir benachrichtigen müssten?» Was bedeuten  würde, dass er irgendjemandem im Laufe des Nachmittags  eine Todesnachricht überbringen müsste.
    Zu Trons Erleichterung schüttelte Signora Saviotti den  Kopf «Jedenfalls nicht hier in Venedig», sagte sie. «Signorina Slataper kam aus dem Friaul. Ich glaube, sie hatte noch einen Bruder in Görtz, aber der hat sie nie besucht.»
    «Und wovon hat sie gelebt?

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