Venezianische Verlobung
Kirchenfußbodens. Bevor er sich umdrehte, um in die Sakristei zu gehen, sagte er nachdenklich: «Ich würde Sägespäne streuen, Signorina. So machen sie das in San Moisè und in San Stefano.»
Damit er nicht merkte, dass sie ihn soeben in ihr Herz geschlossen hatte, rief sie ihm wütend hinterher: «Und in San Marco!»
8
Mit seinem gut geschnittenen Schauspielergesicht und seinen dichten braunen Haaren, dachte Tron, hätte Pater Maurice einem Roman von Eugène Sue entsprungen sein können: ein Mann, den eine tragische Liebesgeschichte (die selbstverständlich in Paris spielte) dazu gebracht hatte, allem Weltlichen zu entsagen und sein Leben Christus, dem Erlö ser, zu widmen. Passend zu dieser Geschichte trug der Pater eine abgewetzte Soutane, auf seiner Brust prangte ein schlichtes Holzkreuz. Nur der goldene Wappenring an seiner linken Hand fiel ein wenig aus dem Rahmen.
Die Sakristei war ein niedriger Raum, der von zwei kleinen Fenstern spärlich erhellt wurde. Eine Petroleumlampe warf eine Blase gelblichen Lichtes auf Akten, Bücher und Zeitungen, die sich in einträchtiger Gemeinschaft mit den Überresten eines Mittagessens auf einem Refektoriumstisch versammelt hatten. Tron sah Gemüsereste und Knö chelchen auf einem Teller, daneben ein Schälchen Oliven, ein Weinglas und eine fiasca. Der aufgeschlagene Osservatore Romano ließ Tron vermuten, dass der Pater die Angewohnheit vieler Junggesellen teilte, nämlich zum Essen die Zeitung zu lesen. Ein leichter Bratengeruch vermischte sich mit dem bitteren Duft des Weihrauchfässchens. Über allem schwebte ein scharfer Petroleumdunst.
Als Tron die Sakristei betreten hatte, war Pater Maurice aufgestanden. « Buon giorno », sagte er freundlich. «Was kann ich für Sie tun?»
Der Pater sprach, seiner Herkunft gemäß, mit französi schem «r», das er nicht mediterran rollte, sondern in der Art kultivierter Norditaliener im Rachen erzeugte. Seine lebhaften Augen musterten den Besucher aufmerksam.
Tron deutete eine höfliche Verbeugung an. «Ich bin Commissario Tron. Von San Marco.»
«Von der venezianischen Polizei?» Das war keine sinn volle Frage, aber Pater Maurice schien plötzlich etwas irritiert zu sein.
«Ja.» Tron bemühte sich um ein beruhigendes Lächeln.
Pater Maurice riss die Augen auf. «Und was führt Sie zu mir? Oh, bitte setzen Sie sich doch.» Er nahm einen Stapel Zeitungen von dem zweiten Stuhl, der am Tisch stand, und deponierte sie skrupellos auf dem Teller mit den Bratenresten. Tron fragte sich, ob es zu den Aufgaben des Mädchens gehörte, auch in der Sakristei zu putzen und aufzuräumen.
«Signora Saviotti sagte mir, Sie seien mit Signorina Slataper bekannt gewesen», begann Tron.
Der Pater schickte einen misstrauischen Blick über den Tisch. «Was heißt bekannt? Signorina Slataper gehört zu meiner Gemeinde. Und wer ist Signora Saviotti?»
Tron lächelte höflich. «Die Zugehfrau von Signorina Slataper. Sie sagte auch, Sie hätten hin und wieder mit der Signorina gesprochen.»
Pater Maurice zuckte die Achseln. «Signorina Slataper kam aus dem Friaul. Aus der gleichen Stadt, aus der auch meine Mutter stammte. Aber vielleicht erklären Sie mir erst einmal, worum es geht.»
Tron hatte es immer für besser gehalten, in solchen Fällen ohne Umschweife zur Sache zu kommen. «Signorina Slataper ist tot», sagte er.
Zuerst schien der Priester nicht zu verstehen. Als er Trons Worte begriffen hatte, wurde er blass. «Was ist mit ihr passiert?» Seine klangvolle Stimme hatte sich in ein Flüstern verwandelt.
«Signora Saviotti hat sie heute Mittag gefunden. Signorina Slataper ist erstochen worden.»
Pater Maurice nahm das Glas und trank den Rest des Rotweins in einem Zug aus. Dann fragte er: «War es ein Raubüberfall? Ich meine, ist eingebrochen worden und …»
Tron schüttelte den Kopf. «Es scheint nichts gestohlen worden zu sein. Die Wohnung war nicht verwüstet und das Schloss unversehrt.»
«Gibt es schon eine Spur?»
«Wir stehen ganz am Anfang der Ermittlungen.»
Pater Maurice schien sich wieder gefangen zu haben.
«Und wie kann ich Ihnen helfen?»
«Signora Saviotti hat uns mitgeteilt, dass Anna Slataper verlobt war», sagte Tron. «Sie hat diesen Verlobten allerdings nie zu Gesicht bekommen. Auch seinen Namen weiß sie nicht.»
«Das war sehr taktvoll von Signora Saviotti.» Der Pater lä chelte schief. «Aber Anna Slataper war definitiv nicht verlobt.»
«Woher wissen Sie das?»
«Ich
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