Venezianische Verlobung
Belanglosigkeiten. Über das Buffet und den Service auf den Lloydschiffen.»
«Und was ist dein Eindruck von Gutiérrez?»
«Offenbar hat er gewusst, dass ich Witwe bin. Er ist der Typ, der jüngeren Witwen gleich plumpe Komplimente macht.» Die Principessa verzog angewidert das Gesicht. «In seinem schleimigen Krämerfranzösisch.»
Tron musste unwillkürlich lachen. «Mit mir hat er italienisch gesprochen. Würdest du ihm einen Mord zutrauen?»
«Du meinst, ob ich glaube, dass er dieses Mädchen persönlich erstochen hat?»
Tron nickte.
«Nein. Gutiérrez würde sich nie persönlich die Hände schmutzig machen. Er hat genug Geld, um sich einen Mörder zu kaufen.»
«Einen Auftragsmord würdest du ihm zutrauen?»
«Dem würde ich alles zutrauen. Warst du lange bei ihm?»
«Vielleicht zwanzig Minuten. Dann kam Besuch, und Gutiérrez hat uns vor die Tür gesetzt.»
«Kam jemand, den du kanntest?»
«Nein, aber ich weiß seinen Namen. Gutiérrez hat Scherzbecher zu ihm gesagt.»
«Wie sah der Mann aus?»
«Er zog ein Bein nach. Mittelgroß, dunkle Haare. Gesicht wie ein Frettchen.»
«Raffzähne?»
«Könnte man sagen.»
«Dann kann ich dir verraten, wer das war. Der Mann hieß nicht Scherzbecher, sondern Schertzenlechner und ist Maximilians Privatsekretär.» Die Principessa hatte sich wieder eine Zigarette angesteckt und sah nachdenklich dem Rauch nach, der in den Salon zog. Dann sagte sie, ohne Tron anzusehen: «Ich hoffe, du bist dir darüber im Klaren, dass Gutiérrez mächtige Verbündete hat.»
«Erzherzog Maximilian?»
Die Principessa nickte. «Nicht nur Maximilian. Auch die katholische Kirche. Alle, die wollen, dass Maximilians mexikanische Unternehmung ein Erfolg wird. Nicht zuletzt Franz Joseph, der seinen Bruder am liebsten von hinten sieht.»
«Und du?»
«Ich kann Gutiérrez nicht ausstehen, aber er ist ungeheuer wichtig für Maximilians Erfolg.»
«Und was folgt daraus?»
Die Principessa schnippte die Asche ihrer Zigarette achtlos auf die Untertasse. «Dass du nur hoffen kannst, dass Gutiérrez mit dem Mord nichts zu tun hat.»
11
Das Schlimmste an dieser Arrestzelle, dachte Angelina Zolli, war nicht die feuchte Kälte, die sowohl vom Fußboden aufstieg als auch durch die vergitterten Fenster in den Raum herabsickerte, sondern die Tatsache, dass die Zelle im Erdgeschoss der questura völlig überfüllt war. Da die Holzbänke an den Wänden besetzt waren, mussten die Neuankömmlinge stehen oder sich auf den kalten Steinfuß boden setzen. Sie saß zwischen einer grell geschminkten Frau, die nach Alkohol roch und unverständliches Zeug vor sich hin brabbelte, und einem abgerissenen alten Mann, der schweigend auf seine Schuhe starrte und nicht einmal aufsah, als sie sich neben ihn setzte. Trotz der Kälte im Raum stank es bestialisch nach Zigarrenrauch und Erbrochenem.
Angelina Zolli stellte verdrossen fest, dass sie in den letzten Tagen mit fremden Brieftaschen nichts als Ärger gehabt hatte.
Zu behaupten, dass die Brieftasche, mit der die Carabinieri sie auf der Piazza erwischt hatten, ihr gehörte, wäre albern gewesen. Kleine Mädchen in schäbigen Kleidern besaßen keine Brieftaschen aus teurem Chagrinleder. Ungünstig war auch, dass sie, als die beiden Polizisten aus dem Nebel auftauchten, gerade damit beschäftigt war, die Geldscheine zu zählen. Natürlich glaubten die beiden Carabinieri ihr nicht, dass sie nur die Adresse des Besitzers ermitteln wollte, um ihm die Brieftasche dann zurückzugeben. Die Geschichte war einfach blöd gewesen, aber eine andere war ihr so schnell nicht eingefallen.
Der Witz war der, dass sie die Brieftasche tatsächlich gefunden hatte. Sie lag, zur Hälfte von einer durchweichten Gazzetta di Venezia bedeckt, direkt vor dem Café Quadri, und sie hatte sich nur zu bücken und sie aufzuheben brauchen. Dass sie die Brieftasche noch auf der Piazza durchsucht hatte, war ein kindischer Fehler gewesen, andererseits war der Nebel so dicht gewesen, dass das Risiko, das sie dabei eingegangen war, minimal gewesen war. Damit, dass plötzlich zwei Carabinieri vor ihr stehen würden, hatte sie nicht gerechnet.
Sie hob den Kopf, als sich die Tür öffnete und der Ser gente, der sie in die Zelle befördert hatte, einen Namen rief. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie sich ein junger Mann von der Bank auf der linken Seite erhob und durch die Menge hindurch zur Tür lief. In den letzten anderthalb Stunden hatte es zwei Zugänge und zwei Abgänge
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