Venezianische Verlobung
hat.»
Bossi kippte seinen Stuhl wieder nach vorne. «Die entscheidende Frage ist doch …»
«Ob er sich am letzten Sonntag in Venedig aufgehalten hat», unterbrach ihn Tron. «In diesem Fall hat er den Lloyddampfer um Mitternacht benutzt, und sein Name steht auf der Passagierliste.»
«Das lässt sich herausfinden.» Bossi machte eine Eintragung in sein Notizbuch.
«Außerdem», fuhr Tron fort, «würde ich gerne wissen, wem dieses Haus gehört, in dem Signorina Slataper ihre Wohnung hatte, und wer ihre Miete bezahlt hat.»
Bossis Augenbrauen schossen nach oben. «Wenn sich herausstellt, dass Schertzenlechner die Miete bezahlt hat und Sonntag in Venedig war, dann …»
«Werde ich mit Spaur reden. Aber nicht früher.»
Bossi sprang auf und fuhr sich mit der Hand durch sein braunes Haar, das daraufhin senkrecht abstand. Sein Gesicht war leicht gerötet, und seine Augen glommen um einiges dunkler, was bei ihm immer ein Zeichen von Erregung war. «Kommen Sie mit, Commissario?»
Würde ich gerne, dachte Tron, jedenfalls lieber, als den Emporio della Poesia zu ruinieren. Er grinste schief und sagte: «Ich habe noch etwas Dringendes zu erledigen.» Er deutet mit der Hand auf das Konvolut mit Spaurs Gedichten und ignorierte den fragenden Blick Bossis. Vier Seiten, für deren Übersetzung Tron zwei Stunden veranschlagte – er würde also spätestens gegen fünf Uhr damit fertig sein.
Was sich dann als Fehleinschätzung herausstellte. Natürlich hatte Spaur alles abgeschrieben – ein bisschen bei Goethe geklaut, ein bisschen bei Heine abgestaubt – so wie es sich Tron gedacht hatte. Der Polizeipräsident war nicht der Typ, der sich hinsetzte und im Schweiße seines Angesichts Verse schmiedete. Vermutlich war er in die Bibliothek der Kommandantura gegangen und hatte dem zuständigen Offizier die Auswahl überlassen. Geben Sie mir irgendwelche Liebesgedichte, Herr Leutnant. Muss ich einen Leihschein ausfüllen?
Danach war Spaur mit den entsprechenden Bänden un ter dem Arm in die questura marschiert und hatte den Rest des Vormittags damit verbracht, Unmengen von Konfekt in sich hineinzustopfen und dabei drei Gedichte zusammenzubasteln – und sie in klarer lateinischer Schrift zu Papier zu bringen, was Tron die Arbeit erleichterte, allerdings den frivolen Einschlag von Spaurs poetischen Beutezügen noch nackter hervortreten ließ:
Entwickle deiner Lüste Glanz
Der Abendsonne goldne Strahlen,
Lass deines Schweifes Rad und Kranz
Kühnäugelnd ihr entgegen prahlen
Meine Güte – das hörte sich ziemlich priapisch an. Ob das durch die Zensur ging? Und ob das Signorina Violetta beeindrucken würde? Ach, egal. Das war Spaurs Problem.
Jedenfalls schlug es sieben – Sehen Sie zu, dass sich das Zeug reimt, Commissario –, bis Tron die letzte Zeile ins Italienische übertragen hatte.
Als er aufstehen wollte, klopfte es, und Bossi steckte seinen Kopf zur Tür herein – offenbar erstaunt darüber, Tron noch anzutreffen.
Jedenfalls hatte der Regen, der den ganzen Nachmittag an die Fensterscheiben von Trons Büro getrommelt hatte, dem Sergente nicht die Laune verdorben – im Gegenteil.
Sergente Bossi stand im Türrahmen und strahlte wie jemand, der gerade in der Lotterie gewonnen hatte.
«Wir haben ihn!», sagte er fröhlich. Auf Trons Aufforderung hin nahm er Platz. Zuvor hatte er jedoch seine tropfende Pelerine an den Garderobenständer gehängt; jetzt bildete sich darunter langsam eine Pfütze.
Tron beugte sich matt über seinen Schreibtisch. Er hatte soeben den Emporio della Poesia ruiniert, und sein Interesse am Leben, auch an Bossis neuen Erkenntnissen, war mäßig.
«Wen?»
«Den Mörder.» Bossi brachte sein Rückgrat in eine senkrechte Position, öffnete sein Notizbuch und setzte ein konzentriertes Gesicht auf – er probte offenbar den passenden Gesichtsausdruck für das Prüfungsgespräch. Dann räusperte er sich und sagte: «Die Indizienkette ist schlüssig.»
Tron unterdrückte ein Lächeln. Das war ein schöner Satz, und vermutlich hätte ein Mitglied der Prüfungskommission den Sergente an dieser Stelle um nähere Auskünfte gebeten. Also sagte er, wobei er sich bemühte, einen offiziellen Ton anzuschlagen: «Bitte erläutern Sie mir die einzelnen Glieder der Indizienkette, Sergente.»
Was Sergente Bossi mit Vergnügen tat, wobei sein Gesicht ernst blieb. «Das Haus, in dem Anna Slataper gewohnt hat, gehört der Kirche», erklärte er.
Tron nickte. Das war nicht
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