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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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fand, dass diese Leute unbedingt Recht hatten. Er verdrehte die Augen, ergriff die Papiere und erhob sich taumelnd.

    «Und da wäre noch etwas.» Spaurs Stimme traf ihn wie  ein Peitschenschlag.
    Noch etwas? Vielleicht ein Sonderheft des Emporio della Poesia mit Spaurs gesammelten Erzählungen? Oder ein Versepos des Polizeipräsidenten, das er, Tron, vorher ins Italienische übersetzen musste? In Hexametern – die sich reimten? Er ließ sich auf seinen Stuhl zurückfallen. «Ja, Herr Baron?»
    «Heute Morgen kam eine Anfrage aus Triest», sagte  Spaur, der mit seinen Gedanken offenbar noch bei den Gedichten war. «Es geht um diese Geschichte am Rio della Verona.»
    «Von wem kam diese Anfrage?» Tron zog die Stirn in  Falten.
    «Von einem Kapitänleutnant von Beust. Er gehört zum  Stab von Erzherzog Maximilian.»
    «Eine offizielle Anfrage?»
    Spaur schüttelte den Kopf. «Inoffiziell. Auf dem Flur der Kommandantura. Der Kapitänleutnant wollte wissen, wie die Dinge stehen. Ich konnte ihm nicht allzu viel berichten.
    Diese Teerjacke denkt offenbar, ich kümmere mich um  jeden einzelnen Fall persönlich.» Der Polizeipräsident biss so heftig auf eine kandidierte Walnuss, dass es knackte. «Und dass ich bereit wäre, über amtsinterne Vorgänge zu reden.»
    «Haben Sie eine Vermutung, warum man sich in Triest  für diesen Fall interessiert, Herr Baron?»
    «Nein. Haben Sie eine?»
    «Eine der letzten Personen, die Anna Slataper lebend gesehen haben, war Gutiérrez de Estrada», sagte Tron. Er berichtete Spaur über die fehlenden drei Stunden in der Schilderung des Botschafters. «Ich halte es für wahrscheinlich, dass Kapitänleutnant von Beust und der Botschafter  miteinander bekannt sind. Gutiérrez könnte Beust gebeten haben, sich umzuhören.»
    «Haben Sie Gutiérrez im Verdacht?»
    «Dass er den Mord persönlich begangen hat, glaube ich  nicht. Aber es würde mich nicht überraschen, wenn er in diese Geschichte in irgendeiner Form verwickelt wäre.»
    «Gibt es Neuigkeiten, die ich wissen müsste? Ich habe  vorhin Bossis Bericht gelesen.»
    Tron nickte. «Wir haben jetzt einen Zeugen. Ein Mädchen, das allerdings nur sagen kann, dass der Mörder gehinkt hat. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen. Aber sie hat mir ein Medaillon gegeben, das sie neben der Toten gefunden hat.»
    Tron zog das Medaillon aus der Brusttasche seines Gehrocks, öffnete die Kapsel und reichte sie über den Tisch.
    «Es handelt sich möglicherweise um ein Bild des geheimnisvollen Liebhabers von Anna Slataper», sagte er. «Ich hatte daran gedacht, das Bild zu vervielfältigen und ein paar Leute damit zum Bahnhof und zu den Lloydschiffen zu schicken.»
    Tron hatte noch vor, bei dieser Gelegenheit ein paar Bemerkungen über progressive Polizeimethoden zu machen und den Polizeipräsidenten darauf hinzuweisen, dass die questura dringend ein eigenes Photolabor benötigte, aber es war offensichtlich, dass Spaur ihm nicht zuhörte. Stattdessen betrachtete der Polizeipräsident die Photographie in der Kapsel mit wachsender Aufmerksamkeit, ging sogar so weit, eine Leselupe aus der Schublade seines Schreibtisches zu kramen, um das Studium des Bildes mit Hilfe der Lupe fortzusetzen.
    Das Portrait des bärtigen Mannes schien ihn zu faszinieren.  Schließlich legte Spaur das Medaillon mit der Photographie auf den Tisch und sagte: «Ich glaube, das werden Sie nicht tun, Commissario.» Sein Miene war ernst.

    «Und warum nicht?» Tron runzelte die Stirn.
    «Sind Sie ihm nie begegnet?» Spaur schien aufrichtig erstaunt zu sein.
    «Wem?»
    Spaur verzog das Gesicht und machte eine ungeduldige  Handbewegung. «Dem Mann auf dem Bild.»
    Tron schüttelte den Kopf.
    «Wer hat das Bild außer Ihnen und diesem Mädchen  noch gesehen?»
    «Nur Sergente Bossi.»
    Spaur sagte: «Dann würde ich vorschlagen, dass Sie mit  niemandem darüber reden.»
    «Wer ist dieser Mann?», fragte Tron.
    Spaur schickte ein freudloses Lächeln über den Tisch. Er atmete tief durch und ließ das Medaillon klirrend auf den Tisch fallen.
    «Seine Hoheit, der Erzherzog Maximilian», sagte er.

14

    «Ein Auftragsmord», sagte Bossi eine Viertelstunde später in Trons Büro. «Das liegt doch auf der Hand. Ich frage mich, warum Spaur nicht darauf gekommen ist.»
    Der Sergente hatte dankbar auf dem Stuhl Platz genommen, den Tron ihm angeboten hatte. Jetzt betrachtete er stirnrunzelnd die Uniformmütze auf seinen Knien und dachte wahrscheinlich darüber nach, welche Fragen

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