Venezianische Verlobung
er noch nie getan hatte. Er schob die Schachtel mit dem Demel-Konfekt zu Tron hinüber und sagte mit süßer Stimme: «Bitte, bedienen Sie sich, Commissario.»
«Danke, Herr Baron.»
«Noch beeindruckter war sie dann», fuhr Spaur in bei läufigem Gesprächston fort, «als ich ihr erzählte, dass die nächste Nummer des Emporio della Poesia einige meiner Gedichte enthalten wird.»
Einen Augenblick lang dachte Tron, er müsste sich verhört haben. Oder dass er langsam, aber sicher hier in Spaurs Büro verrückt wurde. «Dass der Emporio in der nächsten Nummer was enthalten wird?»
«Einige meiner Gedichte, Commissario.» Spaur dehnte die Silben, als würde er mit einem Schwerhörigen sprechen. «Ich darf sagen, dass mich Violetta nach dieser Mitteilung mit ganz neuen Augen angesehen hat. Der Rest des Abends verlief daraufhin äußerst erfreulich. Ist Ihnen nicht gut, Commissario? Sie sehen so bleich aus.»
Tron räusperte sich. «Die nächste Nummer ist eine Son dernummer über einen französischen Lyriker. Wir wollen ihn dem italienischen Publikum vorstellen.»
Das schien keine gute Antwort gewesen zu sein. Denn Spaur lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück und sagte im Befehlston: «Dann passt das ja.»
«Was?»
«Sie werden in dieser Nummer auch einen österreichischen Lyriker vorstellen. Das italienische Publikum mit ihm bekannt machen.» Er schob ein halbes Dutzend Bogen über den Tisch. «Ich nehme nicht an, dass es für Sie ein Problem darstellt, diese paar Seiten ins Italienische zu übertragen.
Wann erscheint diese Nummer?»
«In zwei Wochen. Die Bogen sollten noch heute an die Zensurbehörde gehen.»
Spaur hob die Augenbrauen. «Erwarten Sie Schwierigkeiten wegen dieses Franzosen? Zensurmäßig?»
«Das lässt sich schwer sagen.»
«Wie heißt der Bursche?», erkundigte sich Spaur.
«Charles Baudelaire.»
Spaur machte ein gelangweiltes Gesicht. «Nie gehört.»
Tron raffte sich zu einem letzten Versuch auf. «Ich glaube nicht, dass eine Veröffentlichung Ihrer Gedichte ohne weiteres möglich sein wird. Der Emporio … »
Der Polizeipräsident schnitt ihm mit einer energischen Handbewegung das Wort ab. «Commissario?»
«Ja, Herr Baron?»
Spaur wickelte ein Stückchen Trüffelkrokant aus dem Papier und sagte ruhig: «Ich war heute Morgen zufällig in der Handbibliothek der questura .» Er lächelte eiskalt. «Dass wir den Wiener Kriminalkurier, den Kaiserlichen Polizeihund und den Grazer Polizeiboten abonniert haben, kann ich nachvollziehen.» Das Lächeln des Polizeipräsidenten wurde eine Spur breiter – und gemeiner. «Die Tatsache, dass wir den Emporio della Poesia jeden Monat in fünfzehn Exemplaren beziehen, verstehe ich weniger. Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass niemand an diesem etwas merkwürdigen Umstand Anstoß nähme, falls sich herausstellt, dass führende kaiserliche Polizeipräsidenten im Emporio veröffentlichen.»
Spaur lehnte sich wieder zurück und ließ seinen Blick in eine imaginäre Ferne schweifen. Er schien die Situation zu genießen. «Persönlichkeiten», fuhr der Polizeipräsident fort, «die über den Tellerrand der täglichen Polizeiroutine hinausblicken und auch in der Lage sind, kraftvolle Verse zu schmieden. In diesem Sinne habe ich mich gestern Abend auch Signorina Violetta gegenüber geäußert. Leier und Schwert. Sie verstehen. Auch ein Stückchen Trüffelkrokant?»
Tron senkte den Kopf. Vor seinem geistigen Auge erschien einen Moment lang die Titelseite des neuen Emporio della Poesia – Charles Baudelaire und Johann-Baptist von Spaur. Er musste zweimal kräftig schlucken, um sprechen zu können. «Und was folgt nun daraus – praktisch?»
Offenbar hatte Spaur bereits über diesen Punkt nachgedacht. Er sagte, ohne zu zögern: «Dass Sie diese sechs Seiten ins Italienische übertragen und eine kleine Einleitung dazu schreiben. Stellen Sie alles andere zurück. Um die Zensur kümmere ich mich persönlich. Wer ist dafür zuständig?»
«Oberleutnant Malparzer. Seine Abteilung ist bei den Kroatischen Jägern untergebracht.»
Spaur nickte befriedigt. «Ich kann jetzt nur noch hoffen, dass dieser Bodenbär …»
«Baudelaire.»
«Dass dieser Franzose etwas von seinem Geschäft ver steht. Man will ja auch in einer Umgebung erscheinen, die ein gewisses Niveau hat.»
Wer hatte gleich noch behauptet, die Welt, in der wir leben, sei die Schöpfung eines Demiurgen? Nur dazu da, uns zu erniedrigen und zu quälen? Tron
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