Venezianische Verlobung
Die Principessa sah Tron ärgerlich an. «Schertzenlechner könnte auch private Gründe gehabt haben, Anna Slataper zu töten.»
«In diesem Fall hätte Maximilians Adjutant, Kapitänleutnant von Beust, keinen Grund gehabt, sich bei Spaur inoffiziell nach dem Stand der Ermittlungen zu erkundigen.»
«Die Ermordete war die Geliebte des Erzherzogs.» Die Principessa griff nach einem beignet Dauphin, behielt es kurz in der Hand und legte es dann auf den Teller zurück. «Ihre Ermordung muss ein Schock für Maximilian gewesen sein.
Dass er über die Ermittlungen informiert werden möchte, ist verständlich.»
«Maximilian hätte in einer solchen Situation allen Grund, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Statt dessen schickt er seinen Adjutanten nach Venedig, um Erkundigungen einzuziehen.»
«Was willst du damit sagen?»
Meine Güte, klang das aggressiv. Tron lehnte sich unwillkürlich auf seinem Stuhl zurück. «Maximilian könnte die Nerven verloren haben», sagte er. «Bei klarem Verstand würde er in Deckung gehen und abwarten.»
«Meinst du, Schertzenlechner wird Maximilian belasten, wenn er in eurer Falle sitzt?»
«Er könnte versuchen, auf diese Weise seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Obwohl ich nicht glaube, dass wir an den Erzherzog herankommen. Die Untersuchung wird das Militär übernehmen. Sie werden Schertzenlechner ein Geschäft vorschlagen. Er hält den Mund und wird nach ein paar Jahren freigelassen. Notfalls spricht Franz Joseph eine Begnadigung aus.»
«Aber irgendjemand wird reden, und die ausländischen Zeitungen werden berichten.»
«Dann wäre Maximilian politisch erledigt», sagte Tron.
Die Principessa nickte grimmig. «Worauf Franz Joseph nur gewartet hat. Soll ich dir sagen, warum der Kaiser will, dass sein Bruder nach Mexiko geht?»
«Vermutlich, um den Einfluss des Hauses Habsburg auch in der Neuen Welt wieder zur Geltung …»
Die Principessa unterbrach Tron mit einer ungeduldigen Handbewegung. «Das ist die Version, die in der Gazzetta di Venezia steht. Franz Joseph will seinen Bruder Maximilian loswerden. Weil er ihn hier in Triest nicht unter Kontrolle hat. Aber wenn Maximilian tatsächlich in den Mord verwickelt ist, muss er seinem Bruder aus der Hand fressen. Dann braucht Franz Joseph ihn nicht mehr nach Mexiko zu schicken.»
«Aber du willst, dass Maximilian nach Mexiko geht, richtig?»
«Allerdings.»
«Warum ist das so wichtig für dich? Geht es dir nur um ein paar lukrative … Investitionsmöglichkeiten?»
Die Principessa musterte verdrossen den Dessertteller, der vor ihr stand. «Willst du die ganze Geschichte hören?
Sie ist einigermaßen deprimierend.»
«Erzähl sie mir.»
Die Principessa sah an Tron vorbei zu der Anrichte hinüber, über der ein Ricci hing, den sie letztes Jahr auf einer Pariser Auktion ersteigert hatte. Dann sah sie Tron wieder an. Als sie sprach, drückte ihre Stimme keine hörbare Gefühlsregung aus.
Sie sagte: «Die letzte konservative Regierung Mexikos hat beim Schweizer Bankhaus Jecker noch eine langfristige Anleihe aufgenommen. Für eine Dreiviertelmillion mexikanischer Dollars erhielt Jecker Staatsschuldverschreibungen im Wert von fünfzehn Millionen Dollar.»
Zuerst dachte Tron, er müsse sich verhört haben. «Das ist Wucher.»
Die Principessa lächelte böse. «Für Jecker und die an dieser Anleihe Beteiligten wäre das ein phantastisches Geschäft gewesen.»
«Und als Juárez an die Macht kam?»
«Hat er sich geweigert, die Anleihen zu bedienen. Worauf sich Jecker an den Herzog von Mornay gewandt hat, den Präsidenten der gesetzgebenden Versammlung Frank reichs und Halbbruder Napoleons. Jecker hat Mornay für seine politische Unterstützung dreißig Prozent seines Gewinns angeboten.»
Das war nicht das, was über die Gründe für das französi sche Engagement in Mexiko in den Zeitungen gestanden hatte und gewiss nicht das, was später in den Geschichtsbü chern stehen würde. Tron fand aber, dass sich die Version der Principessa plausibel anhörte. «Also haben die Franzosen Truppen nach Mexiko geschickt.»
«Maximilian ist die Galionsfigur dieses Unternehmens.
Der Mann, der Benito Juárez den Rest geben und später mit seiner kaiserlichen Autorität dafür sorgen soll, dass Mexiko die Anleihen wieder bedient.»
«Und du kommst ins Spiel, weil der Fürst ebenfalls an dieser Anleihe beteiligt war. Richtig?»
Die Principessa nickte. «Mit so ziemlich allem, was er
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