Venezianische Verlobung
hatte. Es schien ein todsicheres Geschäft zu sein. Das Fatale ist, dass die Glasfabriken auf Murano mit Krediten finanziert worden sind, für die er mit diesen Anleihen gebürgt hat.»
«Deren Wert jetzt im Keller ist. Und wenn sich daran nichts ändert, dann …»
«Werde ich den Palazzo und die Glasfabriken verlieren», beendete die Principessa den Satz. Dann fuhr sie fort wie ein Buchhalter, der seine Zahlen erklärt – in ihrem Florentiner Italienisch, das so klar und so geschliffen war wie das Glas ihrer Fabriken. «Aber in dem Moment, in dem Maximilian seinen Fuß auf mexikanischen Boden setzt, bin ich saniert. Dann dürfte der Wert meiner Anleihen nach oben schießen. Zumindest kurzfristig. Ich könnte mit leichten Verlusten verkaufen und die Kredite ablösen.» Die Principessa zündete sich eine Zigarette an und ließ das Streichholz – ein Indiz dafür, wie nervös sie war – achtlos auf den Dessertteller fallen.
Tron erhob sich. Er ging zum Fenster und schob den Vorhang zurück. Ein wenig Nebel wehte von der Salute her den Canalazzo hoch. Der Nebel war noch dünn, kaum mehr als ein Schimmer um das Licht, das aus den Fenstern der gegenüberliegenden Palazzi drang, aber Tron vermutete, dass er in ein paar Stunden zum Schneiden dick sein würde. Einen absurden Augenblick lang hatte Tron das Gefühl, soeben eine gute Nachricht gehört zu haben. Er drehte sich um und fragte: «Ist das der Grund, weswegen du es mit der Heirat nicht so eilig hast?»
Der Blick der Principessa war völlig ausdruckslos. Aber hätte sie gelogen, dachte Tron, wäre ihr Antwort nicht so schnell und ohne jedes Zögern gekommen. «Ich möchte nicht, dass du jemanden heiratest, der bankrott ist.»
«Glaubst du wirklich, dass das für mich einen Unter schied macht?»
«Ich war mir nicht ganz sicher. Ich weiß – das ist albern und ungerecht, aber ich …» Die Principessa brach den Satz ab. Dann sog sie nervös an ihrer Zigarette, ohne Tron anzusehen.
«Wegen der Contessa? Wegen dieses Geredes, dass man mit deinem Geld den Palazzo Tron renovieren könnte?»
«Ja, vielleicht deshalb.» Sie verstummte. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme wieder normal – fast kühl. «Übrigens bin ich im Bilde.»
«Worüber?» Das war eine rhetorische Frage. Tron wusste, was gemeint war.
Jetzt klang die Principessa eisig. «Über die Kreditverhandlungen der Contessa. Das ist recht unangenehm in meiner momentanen Lage.»
«Diese Kreditverhandlungen sind hinter meinem Rücken geführt worden», sagte Tron. Er hoffte, dass die Wahrheit so deutlich in seinen Augen zu lesen war, dass die Principessa sie erkennen konnte. «Und falls es dich beruhigt», fuhr er fort, «die Contessa hat sich gestern Nachmittag aus diesen Verhandlungen zurückgezogen. Ich konnte sie davon überzeugen, dass dieser ganze Vorgang töricht und geschmacklos war.»
Die Principessa studierte das glühende Ende ihrer Zigarette. Dann sagte sie leise: «Ich wusste nicht, dass euch das Wasser bis zum Hals steht.»
Auf einmal fühlte Tron sich dermaßen ausgelaugt und erschöpft, dass er sich setzen musste. «Das Wasser kommt von allen Seiten», sagte er. «Durch das Dach und durch die Wände. Wenn es regnet, saugt sich die Außenmauer zum Rio Tron voll wie ein Schwamm. Und im Winter wird es wieder Frostschäden geben.» Er stellte entsetzt fest, dass er kurz davor war, in Tränen auszubrechen. «Der Palazzo Tron löst sich auf wie ein Stück Zucker in einer Teetasse, Maria.»
«Und du willst trotzdem …» Sie brauchte den Satz nicht zu Ende zu sprechen.
«Wenn es ein Auftragsmord war, kann ich nicht wegse hen», sagte Tron.
«Es wird nicht deine Entscheidung sein.»
«Noch ist es meine Entscheidung, ob ich die Ermittlungen fortsetze oder nicht.»
Die Principessa schwieg und sah Tron mit einem Ausdruck an, den er nicht deuten konnte. «Wenn Schertzenlechner reden sollte – ich glaube immer noch nicht an deine Theorie –, aber falls er reden sollte, wie wirst du dich verhalten?»
Plötzlich drangen acht dumpfe Glockenschläge von San Samuele durch die Vorhänge des Speisezimmers. Dann war es wieder still, und das einzige Geräusch im Zimmer war das Ticken der französischen Stutzuhr, die auf dem Kaminaufsatz stand. In einem anderen Moment hätte Tron das Ticken der Uhr als tröstlich empfunden, wie einen Herz schlag. Jetzt erinnerte es ihn daran, wie gnadenlos die Zeit verrann.
Er hob hilflos die Schultern. «Es sieht fast so aus, als
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