Venezianische Verlobung
«Seine Hoheit stand unter Schock. Die ganze Angelegenheit ist äußerst kompromittierend.» Er räusperte sich umständlich. «Speziell in der gegenwärtigen Situation.» Dann sagte er: «Und ich bin auch hier, um mich nach dem letzten Stand der Ermittlungen zu erkundigen.»
Tron lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er war sich immer noch nicht darüber im Klaren, was für ein Spiel Schertzenlechner mit ihm spielte. Wusste der Privatsekretär, dass Angelina Zolli geredet hatte? Nein – das war unmöglich. Dass die einzige Zeugin sich ihm, Tron, anvertraut hatte, war auf eine Reihe von unwahrscheinlichen Zufällen zurückzuführen.
Schertzenlechner war völlig ahnungslos. Vielleicht, dachte Tron, würde seine Rechnung doch noch aufgehen.
«Ja, es gibt etwas Neues», sagte er langsam. «Wir haben einen Zeugen. Jemand, der den Täter in der Mordnacht gesehen hat.»
Schertzenlechner runzelte die Stirn. «Das war keine Nacht, in der man viel sehen konnte. Der Lloyd hätte fast den Betrieb eingestellt, und ich wäre nicht mehr nach Triest gekommen», sagte er. Womit er zugab, dass er sich in der Mordnacht in Venedig aufgehalten hatte.
«Unser Zeuge hat aber etwas gesehen», sagte Tron.
«Und was, Commissario?» Klang das jetzt irritiert, oder hatte sich Schertzenlechner lediglich verschluckt? Denn er hustete kurz, nachdem er gesprochen hatte.
«Den Mörder, Signor Schertzenlechner.» Tron machte eine Pause, bevor er weitersprach. «Und zwar so gut, dass er in der Lage war, uns eine Beschreibung zu liefern.»
Und jetzt hatte Tron auf einmal den Eindruck, dass Schertzenlechners Maske – jedenfalls einen Moment lang bröckelte. Der Privatsekretär wurde blass. Er lehnte sich ruckartig auf seinem Stuhl zurück, so als hätte ihm jemand einen Schlag versetzt. Seine Augenlider klapperten hektisch auf und ab. Allerdings hatte er sich sofort wieder in der Gewalt. Er brachte sogar ein Lächeln zustande, als er fragte: «Die Beschreibung einer Person, die Sie kennen?»
Tron beschloss anzugreifen – mit allem, was er hatte. Er sagte: « Ihre Beschreibung, Signor Schertzenlechner. Sie sind in der Mordnacht am Tatort gesehen worden.» Und ohne Pause fuhr er fort: «Ich werde Ihre Akte mit dem Protokoll der Zeugenaussage der Militärpolizei übergeben müssen.
Doch wenn sich dieses Verbrechen unter Umständen ereig net hat, die für die kaiserliche Familie höchst kompromittierend sind, könnte das Militärgericht die Ermittlungen gegen Sie einstellen.»
Die Botschaft war so klar und eindeutig, dass Schertzenlechner sie unbedingt verstanden haben musste. Wir wissen, dass du Anna Slataper getötet hast, lautete die Botschaft.
Und wir vermuten, dass dich Maximilian zu diesem Mord angestiftet hat. Wenn du auspackst, können wir ein Geschäft machen.
Schertzenlechner hatte sein Gesicht nach dem ersten Satz gesenkt, sodass seine Augen nicht zu erkennen waren.
Doch wenn Tron vor ein paar Minuten noch den Eindruck gehabt hatte, dass sich in Schertzenlechners Maske Risse zeigten, geschah jetzt das Gegenteil. Schertzenlechners Zü ge wurden starr, sie schienen regelrecht zu vereisen, so als hätte ein plötzlicher Frost sie überrascht. Als der Privatsekretär aufsah, war seine Miene verschlossen wie eine Muschelschale.
«Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen», sagte Schertzenlechner kalt.
Tron machte einen letzten Versuch. «Es wäre zu Ihrem Vorteil», sagte er ruhig, «wenn die kompromittierenden Umstände, unter denen das Verbrechen geschah, bereits in der Akte enthalten wären, die ich den Militärbehörden übergebe. Die Militärbehörden werden in diesem Fall ein Interesse daran haben, die Angelegenheit diskret zu regeln.
Von diesem Interesse dürften Sie zweifellos profitieren.»
Es war unglaublich, wie gut Schertzenlechner sich in der Gewalt hatte. Der sagte: «Sie wissen, dass Sie nicht in der Position sind, mich zu einem Gespräch zu zwingen.»
«Weil Sie einen militärischen Rang bekleiden?»
Schertzenlechner nickte hochmütig. «Ich bin …» Er zö gerte kurz. Dann sagte er: «Ich bin, äh, Kapitän zur See.»
«Ich will Ihnen lediglich die Gelegenheit geben, mil dernde Umstände in Anspruch zu nehmen. Dass es auf grund meiner Ermittlung zu einem Verfahren gegen Sie kommen wird, ist Ihnen hoffentlich klar.»
Jetzt klang Schertzenlechners Stimme erstaunlich sicher.
«Das glaube ich nicht, Commissario.»
«Und warum nicht?»
«Weil Sie, bevor Sie Ihre Akten an
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