Venezianische Verlobung
Lagunenwassers, an dessen Horizont die Lichtpunkte auf der Isola San Giorgio glühten.
Als sie sich abwandte, um zur Piazza zurückzulaufen, fühlte sich Angelina Zolli auf einmal kraftlos und fahl – wie eine Milchglasscheibe, durch die man fast hindurchsehen kann. Die Erzherzog Sigmund würde morgen wieder in Venedig sein. Dann würde sie mit dem Zahlmeister sprechen, den Namen des Mannes erfahren und anschließend sofort auf die questura gehen.
Diesmal – in ihrem neuen Mantel – würde alles klappen.
27
Wenn süß das Mondlicht auf den Hügeln schläft, dachte Tron.
Er stand frierend auf dem Campo dell’Orto und hatte beide Hände tief in den Taschen seines Gehpelzes vergraben.
Und war – wie in letzter Zeit üblich – frustriert. Weil er sich nämlich nie daran erinnern konnte, wie der Text nach dieser Zeile weiterging. Irgendetwas mit sitzen und Musik.
Wieso konnte er sich nie dazu aufraffen nachzusehen, wenn er wieder zu Hause war? Ach, egal. Jedenfalls hatte das Mondlicht heute tatsächlich einen gewissen Charme.
Der Mond, fast vollständig rund, hing wie ein bleicher Lampion über der nördlichen Lagune, und die Fassade der Kirche hob sich so präzise vom Himmel ab, als wäre sie mit einer scharfen Schere aus schwarzem Papier ausgeschnitten.
Merkwürdig, wie manchmal ein paar Stunden Westwind – wenn er denn keine neuen Wolken über die Lagune wehte – ausreichten, um die Stadt von all dem Regen und dem Nebel zu befreien, sie auszulüften wie einen muffigen Schrank.
Tron drehte langsam den Kopf und musterte zum hun dertsten Mal die wenigen Häuser, die den Platz säumten.
Aber da rührte sich nichts, ebenso wenig wie auf dem Rio Madonna dell’Orto, der den Campo an einer Seite begrenzte. Er war verabredungsgemäß Punkt Mitternacht aus der Gondel gestiegen, die ihm der Erzherzog zur Verfügung gestellt hatte. Jetzt wartete er bereits seit einer halben Stunde darauf, dass irgendjemand auftauchte.
Inzwischen fragte er sich, ob es nicht besser gewesen wäre, diesen Auftrag abzulehnen. Zumal unklar war, was ihm das alles einbrachte – ob es ihm überhaupt etwas einbringen würde. Der Erzherzog hatte nicht einmal angedeutet, dass er sich erkenntlich zeigen wollte. Falls sich anschließend nicht mehr als ein Händedruck ergab, würde Tron den Erzherzog auf den Maskenball der Contessa bitten. Die Anwesenheit eines leibhaftigen Erzherzogs auf dem Maskenball der Contessa würde dem Ball zusätzlichen Glanz verleihen. Das war nicht die Beförderung zum Polizeipräsidenten – aber immerhin etwas.
Die zweite Möglichkeit bestand darin, ein wenig zu ver handeln und den Preis für die Photographien zu drücken.
Von den verabredeten fünftausend Lire in Gold auf viertausend Lire. Genau! Was ihm einen Gewinn von tausend Lire in Gold einbringen würde. Nicht schlecht für zwei Stunden Arbeit. Die Einladung zum Maskenball konnte er ja trotzdem aussprechen. Und hatte außerdem eine hübsche Geschichte, die er der Principessa erzählen konnte. Von wegen er und nicht geschäftstüchtig!
Die Gondel kam eine Viertelstunde später. Bevor Tron den Bug im Mondlicht erkennen konnte, hörte er den leichten Stoß, den das Drehen des Ruders in der forcola erzeugte, und einen Augenblick später teilte der schlanke Bug der Gondel die Wasseroberfläche in kleine glitzernde Wellen.
Der Gondoliere allerdings, der dann aus der Gondel kletterte und steif auf Tron zulief, war klein und dick. Drei Schritte vor Tron blieb er stehen und deutete eine servile Verbeugung an.
«Ich soll einen Signore abholen, der um Mitternacht auf dem Campo dell’Orto wartet, um ein paar Photographien zu kaufen», sagte er. Bei dem Wort Photographien lächelte er anzüglich. Im Mondlicht, das die eine Seite seines Kopfes hell anleuchtete und die andere vollständig im Dunkeln ließ, wirkte sein Gesicht trotz des Lächelns maskenhaft und starr.
«Wer hat Sie beauftragt, mich hier abzuholen?»
«Einer der Gäste. Ich kenne den Signore nicht. Er trug eine Maske.»
«Einer welcher Gäste?»
Der Gondoliere zuckte die Achseln. «Einer der Ballgäste.
Ich bringe Sie dorthin, Signore.»
«Was für ein Ball?»
«Es handelt sich um einen Maskenball.»
«Und wo findet der Ball statt?»
«Der Signore, der mich beauftragt hat, Sie hier abzuholen, hat mich gebeten, Ihnen unser Ziel nicht zu verraten.
Der Signore war dafür sehr großzügig.» Er hob seine rechte Hand und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Es war
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