Venezianische Versuchung
der eine bittere Arznei schlucken soll.“
„Werden Sie mir eine Tasse Tee besorgen, wenn ich das getrunken habe?“
„Natürlich! Ich werde Wilson sagen, er soll Ihnen eine ganze Kanne Tee machen. Aber erst nachdem Sie die Schokolade probiert haben. Wenn Sie sich weigern, werde ich Ihnen heute nichts von der Stadt zeigen.“
„Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig.“ Seufzend hob er die Tasse zum Mund. „Ich muss meiner Gouvernante gehorchen.“
Vorsichtig wollte er einen kleinen Schluck trinken. Doch die Schokolade war so dickflüssig, dass ihm zunächst gar nichts in den Mund lief. Er kippte die Tasse ein bisschen mehr. Und was er da schmeckte, war wundervoll! Die Kombination aus Süße, Gewürzen, Milch und gerösteten Kakaobohnen war unglaublich köstlich. Er hatte das Gefühl, zuerst mit der Zunge zu genießen, dann mit dem Magen und schließlich mit dem ganzen Körper.
„Ah …“ Er wollte mehr von diesem so ungewohnten und dabei so himmlischen Getränk. Miss Wood hatte recht, es war mit nichts zu vergleichen. Er nahm einen zweiten tiefen Schluck.
„Soll ich nach Wilson läuten, damit er Ihnen Ihren Tee macht?“ Ihre Stimme klang wie immer, doch ihre Augen funkelten vor Freude. „Oder soll ich Ihnen vielleicht noch eine Tasse Schokolade zubereiten?“
Er hielt ihr die leere Tasse hin. „Nachschenken, bitte!“
Lachend gehorchte Jane. Als Aston erneut trank, griff sie nach einer Gabel, piekste eine dünne Scheibe Schinken auf und bot sie ihm an. „Dieser Schinken wird Prosciutto genannt, und man isst ihn auch zur Schokolade. Es ist herrlich, wenn sein Geschmack sich mit dem des Getränks verbindet. Kosten Sie nur, Euer Gnaden. Es wird Ihnen gefallen.“
Misstrauisch betrachtete er die hauchdünn geschnittene Scheibe. „Das sieht eher so aus, als sei es für Kinder oder zahnlose alte Männer. Ich habe in England dergleichen schon gegessen. Es schmeckte … langweilig.“
„Oh, dieser Prosciutto ist nicht langweilig, das kann ich Ihnen versprechen. Sie werden sich wundern, wie würzig er schmeckt. Dabei ist er längst nicht so fett wie der Schinken, der in Aston Hall serviert wird. Am besten probieren Sie ihn zusammen mit einem Schluck Schokolade.“
„Also gut.“ Nachdem das Getränk sich als so angenehme Überraschung entpuppt hatte, war er bereit, ein weiteres Experiment zu wagen. Er öffnete den Mund, kostete und dachte: Das ist Magie. Der süße Geschmack der Schokolade verband sich mit dem salzigen des Schinkens, und dabei entstand etwas völlig Neues, völlig Unerwartetes. Richard war es, als offenbare ihm die Kakaobohne all ihre Geheimnisse und als könne er den Duft der italienischen Landschaft erahnen, in der das Schwein, von dem das Fleisch stammte, sein kurzes, aber glückliches Leben verbracht hatte.
Miss Wood, die genau zu wissen schien, was in ihm vorging, lächelte ihn an. Ihr Gesicht hatte tatsächlich etwas Spitzbübisches angenommen.
Er beugt sich vor und öffnete den Mund.
Sie zögerte, dann wurde ihr Lächeln breiter, und sie schob ihm ein weiteres Stück Schinken in den Mund. „So, Euer Gnaden, schmeckt Venedig. Zumindest so früh am Tag. Später, bei der nächsten Mahlzeit, können Sie wieder neue Erfahrungen sammeln.“
Er stieß einen zufriedenen Seufzer aus, und – er konnte sich selbst nicht erklären, was ihn überkam – zwinkerte Miss Wood zu.
Jane riss die Augen auf. Die Hand, in der sie die Gabel hielt, verharrte einen Moment reglos auf halbem Wege zum Mund des Dukes. Dann begann sie leise zu lachen, und eine leichte Röte stieg ihr in die Wangen.
Aston war entzückt. Seine erste Unterrichtsstunde war so erfreulich verlaufen, dass er die nächste kaum erwarten konnte.
„Wo haben Sie zum ersten Mal so gefrühstückt?“, fragte er interessiert. Es war schwer vorstellbar, dass die strenge Gouvernante, die er in England gekannt hatte, sich so sinnlichen Vergnügen hingab, wie Schokolade zusammen mit Schinken zu genießen. Er hatte sie immer für spröde gehalten. Jetzt zeigte sich, dass er sich getäuscht hatte.
„Es ist hier allgemein üblich“, antwortete sie. Und fügte sogleich in ihrer üblichen lehrerinnenhaften Art hinzu: „Die Menschen hier lieben ihre heiße Schokolade. Es hat wahrscheinlich mit Venedigs Geschichte zu tun. Die Stadt ist durch den Handel reich geworden. Vor zweihundert Jahren waren Kakaobohnen genauso wertvoll wie Gold.“
„Welch ein Unsinn. Wer sollte auf die Idee kommen, Schokolade mit Gold aufzuwiegen?“
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