Venezianische Versuchung
sein.
Nur eines passte nicht in dieses exotische Bild: Miss Wood, die so wenig orientalisch wirkte, wie das nur eine Engländerin konnte.
„Guten Morgen, Euer Gnaden“, begrüßte sie ihn fröhlich und knickste. „Ich freue mich, dass Sie sich entschieden haben, mit mir gemeinsam zu frühstücken.“
Böse starrte er sie an. „Es stimmt nicht, dass ich mich dazu entschieden habe. Ich sehe mich lediglich gezwungen, ein paar Worte mit Ihnen zu sprechen, Miss Wood. Stimmt es, dass Sie meinem Kammerdiener verboten haben, seine üblichen morgendlichen Pflichten mir gegenüber zu erfüllen?“
Sie hob die dunklen Brauen. „Euer Gnaden, Sie überschätzen mich, wenn Sie glauben, ich könne einen Mann wie Wilson dazu bringen, irgendetwas gegen seinen Willen zu tun.“
Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. „Wollen Sie behaupten, Wilson hätte freiwillig den Entschluss gefasst, mir den Gehorsam zu verweigern?“
„O nein“, ihr Lächeln war wie ein Sonnenstrahl, „keineswegs! Ich möchte lediglich wiederholen, wie sehr ich mich freue, dass Sie mir bei einem venezianischen Frühstück Gesellschaft leisten wollen.“
„Aber das will ich keineswegs“, beharrte er.
„Sie irren sich, Euer Gnaden. Gestern, als Sie mich als Dolmetscherin und Fremdenführerin einstellten, haben Sie mir ausdrücklich den Auftrag erteilt, Ihnen alles Wissenswerte über Venedig beizubringen. Nun, dies ist Ihre erste Lektion. Sie sollen erfahren, wie ein hiesiger Gentleman den Tag beginnt.“
Er musterte die Speisen, die auf kleinen Tellern auf dem Tischchen angerichtet waren. Da gab es hauchdünn geschnittenen und zu einer Blüte arrangierten Schinken. Außerdem Brot und verschiedene geheimnisvolle Dinge, die man hier offenbar für essbar hielt, sowie eine kleine Handmühle und einen großen Krug mit dampfend heißer Milch.
„Bitte, Euer Gnaden, setzen Sie sich“, meinte Miss Wood und deutete einladend auf den Stuhl. „Wie sie sehen, ist alles für Sie vorbereitet.“
Alles, wahrhaftig! Wo, zum Teufel, war sein Tee? Und warum konnte er nirgends Rührei oder wenigstens Spiegeleier entdecken? Noch immer erfüllte ihn ein gerechter Zorn, weil man seine Wünsche missachtete. Doch er musste sich eingestehen, dass alles ganz hervorragend duftete und zudem appetitlich aussah. Sein Magen knurrte. Ha, das war der Beweis dafür, dass ein englischer Aristokrat unmöglich auf die Dinge verzichten konnte, an die er gewöhnt war und die er liebte.
„Miss Wood“, begann er in der Absicht, ihr ein für alle Mal klarzumachen, dass hier genau wie daheim alles nach seinem Willen zu gehen hatte, „Miss Wood, Sie meinen es sicher gut. Dennoch fürchte ich …“
„Oh, Euer Gnaden!“, fiel sie ihm ins Wort und sah plötzlich so erschrocken drein, dass er schon glaubte, einen leichten Sieg errungen zu haben. „Ihre armen Füße! Diese Marmorböden sind unglaublich kalt, nicht wahr? Kommen Sie, setzen Sie sich auf die Bank am Kachelofen und wärmen Sie sich ein bisschen auf, während ich Ihren Kakao zubereite.“ Damit trat sie auf ihn zu, legte ihm die Hand auf den Ellbogen und dirigierte ihn in eine Ecke des Raums.
„Lassen Sie mich!“, rief er. „Ich bin kein Greis, der am Kamin sitzen müsste. Und was, um Himmels willen, ist überhaupt ein Kachelofen?“
„Das, Euer Gnaden!“ Sie zeigte auf ein reich verziertes Gebilde nahe der Wand, das Aston bisher für einen seltsamen Schrank gehalten hatte. Jetzt erkannte er, dass es nicht aus bunt bemaltem Holz bestand, sondern aus kunstvoll gestalteten Kacheln. Plötzlich spürte er auch die wunderbare Wärme, die von dem Ding ausging. Das, dachte er, ist tatsächlich besser als ein offener Kamin.
„Ich habe gehört, solche Kachelöfen fänden sich in mehreren venezianischen Palazzi“, berichtete Miss Wood. „Die Besitzer sind angeblich sehr stolz darauf. Auch mir erscheint diese Art zu heizen sehr praktisch. Weil es kein offenes Feuer gibt, ist die Brandgefahr gering. Außerdem braucht man angeblich deutlich weniger Holz.“
„Eine geringe Brandgefahr?“, vergewisserte Aston sich. Tatsächlich hielt sein Interesse sich in Grenzen, doch er wollte nicht unhöflich sein.
„Allerdings! Wissen Sie, die Venezianer haben, obwohl sie doch überall von Wasser umgeben sind, große Angst vor Bränden. Die Glasbläser sind die Einzigen, die mit Feuer arbeiten dürfen, und das auch nur, weil sie so wichtig für die Wirtschaft der Stadt sind.“
„Sie sprudeln ja nur so über vor
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