Venezianische Versuchung
Sie und ich – Freunde sind und dass wir keine Geheimnisse voreinander haben sollten.“
Jane wählte ihre Worte sorgfältig. „Ich bin sehr froh über diese Freundschaft, Signor di Rossi. Aber noch ist sie nicht von langer Dauer. Das wird wohl der Grund dafür sein, dass Sie meine Zeilen so missverstanden haben.“
Sie sah, wie er unwillkürlich die rechte Hand zur Faust ballte. „Wie hätte ich Ihre Nachricht falsch verstehen können? Es ist doch noch nicht lange her, da baten Sie mich um Hilfe, weil Sie befürchteten, dieser Duke würde Ihnen Böses tun.“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe nie gesagt, dass er mir schaden will. Allerdings stimmt es, dass ich mir, als er so unvermutet in Venedig eintraf, Sorgen um meine Zukunft gemacht habe.“
„Ja, er hat Ihnen Sorgen bereitet“, bekräftigte di Rossi. „Dieser Engländer macht Sie unglücklich.“
„O nein.“
„Aber Sie haben es selbst gesagt, cara mia! Auch wenn Sie es vielleicht nicht in Worte gefasst haben, so sprachen Ihre bekümmerten Blicke doch eine deutliche Sprache. Mir ist nicht entfallen, wie verwirrt und bedrückt sie waren, als ich Sie auf der Piazza vor der Basilica di San Marco traf.“
Jane spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. „Sie haben recht, an jenem Tag war ich unglücklich. Doch ich selbst trug die Schuld daran. Man kann Seiner Gnaden keinen Vorwurf deshalb machen.“
„Er hat es nicht verdient, dass Sie ihn verteidigen! Er hat Ihnen weder die Achtung entgegengebracht, die einer Frau gebührt, noch hat er …“
„Bitte, Signore!“ Warum, um alles in der Welt, kam Richard nicht endlich zurück? Was hatte dieser Diener ihm zu sagen? Was konnte so viel Zeit in Anspruch nehmen? „Bitte, wir wollen dieses Gespräch beenden.“
Er schüttelte den Kopf, und seine Stimme klang anders, als er leise fortfuhr: „Ich weiß, dass es Ihr Wunsch war, diesen Abend gemeinsam mit mir zu verbringen. Dieser Engländer hat Sie gedrängt, jenen unglückseligen Brief an mich zu schreiben, nicht wahr? Ich habe es bei jedem Satz gespürt. Das waren nicht Ihre Worte, sondern seine.“
Jane blickte zur Tür. Wo blieb Richard nur? „Der Duke“, sagte sie, „muss jeden Moment wieder hier sein. Es wird mir eine Ehre sein, Sie mit ihm bekannt zu machen.“
„Er interessiert mich nicht. Ich bin allein Ihretwegen hier, Miss Wood. Bitte, begleiten Sie mich jetzt, cara mia.“
„Verzeihen Sie, dass ich Sie darauf aufmerksam mache: Es gehört sich nicht, dass Sie mich cara nennen.“ Ihre Angst wuchs, aber Jane versuchte sich ihre Beunruhigung nicht anmerken zu lassen. Ihr fiel ein, wie di Rossi sie in dem Café am Markusplatz mit Komplimenten bedacht hatte, die sie verlegen machten. „Unsere Freundschaft gründet auf unserem gemeinsamen Interesse an der Kunst“, erklärte sie mit fester Stimme. „Nie habe ich Ihnen einen Grund gegeben, etwas anderes anzunehmen. Wenn Sie mir das dennoch unterstellen, muss ich Ihnen sagen, dass sich dergleichen für einen Gentleman nicht gehört.“
Im Dämmerlicht, das in der Loge herrschte, wirkten di Rossis Augen kohlschwarz. „Mir scheint“, begann er, wobei er seine Worte mit einer weit ausholenden Geste unterstrich, „dass Sie noch nie einem wahren Gentleman begegnet sind. Bitte, gestatten Sie mir, Ihnen zu zeigen, wie ein Gentleman einer Dame seine Bewunderung beweist. Erlauben Sie mir, Sie mit den wunderbarsten Vergnügungen vertraut zu machen! Lassen Sie uns gemeinsam Freuden erleben, die Sie sich bisher nicht einmal vorstellen konnten!“
Er trat einen Schritt auf sie zu, und sie wich so erschrocken zurück, dass sie dabei einen Stuhl umwarf.
„Wir werden ganz gewiss keine dieser Freuden erleben!“, rief sie. „Wissen Sie nicht mehr, wer Sie sind, Signore? Und wer ich bin? Sie sollten …“
Die Tür flog auf, und die Silhouette des Dukes hob sich deutlich gegen das Licht des beleuchteten Ganges ab.
„Sie werden nicht glauben, was ich zu berichten habe, Jane!“, rief Richard. „Ich musste … Wer, zum Teufel, ist das? Sir“, er musterte di Rossi scharf, „was tun Sie hier?“ Dann wanderte sein Blick zu Jane.
Vor Erleichterung brachte Jane kein Wort über die Lippen. Im ersten Moment wollte sie sich Richard in die Arme werfen. Doch dann wurde ihr klar, dass di Rossi auf keinen Fall Zeuge einer solchen Szene werden sollte. Zweifellos würden sonst bald die wildesten Gerüchte über die Beziehung zwischen dem englischen Duke und der Gouvernante im Umlauf sein. Die
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