Venezianische Versuchung
der Männer auf ihn zu, um ihm ihre Dienste anzubieten. Wenig später fuhren Richard und Jane bereits über den Kanal davon, fort von Signor di Rossi und seinem Degen.
Jane war unendlich erleichtert darüber, dass das unglückliche Zusammentreffen ohne Blutvergießen geendet hatte. Nicht viel hätte gefehlt, und die glimmende Feindschaft zwischen den beiden Männern hätte zu einem wilden Feuer auflodern und zu einem Kampf mit womöglich tragischem Ausgang führen können. Es war richtig gewesen, Richard dazu zu bringen, das Theater zu verlassen. Bedrückend war nur, dass er seitdem nicht mit ihr gesprochen hatte.
Kein einziges Wort!
Unglücklich fragte sie sich, ob sie es wagen sollte, seine Hand zu nehmen. Auf dem schmalen Sitz der Gondel war er so weit wie möglich von ihr abgerückt. Kein einziges Mal hatte er zu ihr hingeschaut. Starr blickte er geradeaus auf das im Mondlicht glitzernde Wasser. Ein Beweis dafür, dass er vor Zorn kochte.
Wenn ich doch nur wüsste, dachte Jane, ob seine Wut gegen mich gerichtet ist.
Lange würde sie seine Missachtung nicht mehr ertragen können. Sie musste etwas tun, um sein Schweigen zu durchbrechen, selbst wenn sie damit einen Wutausbruch riskierte. Also nahm sie all ihren Mut zusammen und sagte: „Ich vermute, die Botschaft, die dieser Diener brachte, war nicht besonders wichtig?“
„Es gab, verflucht noch mal, keine Botschaft. Keinen Diener und keine Botschaft! Das Ganze war eine Lüge, die nur einen Zweck hatte: Ich sollte aus der Loge fortgelockt werden.“
„Aber warum? Wer würde sich so etwas einfallen lassen?“
„Ich weiß es nicht, Jane.“ Seine Stimme klang kalt. „Aber als ich zurückkam und diesen Mann bei Ihnen vorfand …“
„Sie glauben doch nicht etwa, ich hätte den Mann um diesen Besuch gebeten!“, rief sie entsetzt aus. „Wie können Sie denken, ich hätte Sie fortgeschickt, um ihn zu empfangen! Wahrhaftig, dass Sie mich eines so verachtenswerten Doppelspiels für fähig halten, betrübt mich sehr.“
„Ich weiß nicht, was ich über diesen Vorfall denken soll“, entgegnete er ehrlich. „Aber ich weiß, was ich gesehen habe. Dieser Mensch wollte sich Ihnen aufdrängen, und Ihr Gesicht spiegelte wider, wie unangenehm Ihnen das war. Ich hätte ihn am liebsten erwürgt! Doch als Sie den Mund aufmachten, sprachen Sie mit uns, als hätten wir uns auf einer Teegesellschaft getroffen. Das verstehe ich nicht.“
„Ich will versuchen, es zu erklären. Bis zum heutigen Abend glaubte ich, Signor di Rossi sei ein Freund, denn er war stets freundlich und hilfsbereit. Nun allerdings ist mir klar geworden, dass ich mich getäuscht habe. Ein echter Freund würde eine Dame niemals so behandeln. Sie ahnen ja nicht, wie glücklich ich war, als Sie in die Loge zurückkehrten, um mich vor … vor dem zu retten, was er mir antun wollte.“
„Und warum haben Sie mir das dann nicht gleich gesagt? Ich hätte diesen Schurken mit seinem eigenen Degen durchbohrt.“
„O Richard, gerade deshalb habe ich nichts gesagt.“ Sie nahm seine Hand. „Ich will nicht, dass Männer meinetwegen mit Degen, Säbeln oder Pistolen aufeinander losgehen. Ich weiß um Ihr aufbrausendes Temperament und dass Sie oftmals ungestüm handeln, statt auf Ihre Vernunft zu hören. Zudem bin ich sicher, dass ein Venezianer, der bewaffnet ins Theater geht, nicht zögern würde, seine Waffe zu benutzen. Ich konnte Sie doch nicht der Gefahr, verletzt zu werden, aussetzen!“
„Sie zweifeln an meinen kämpferischen Fähigkeiten?“ Unwillkürlich straffte er die Schultern und ballte die freie Hand zur Faust. „Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass man mich in England nach wie vor für einen sehr geschickten Fechter hält? Ich bin durchaus in der Lage, einen italienischen Gecken zu besiegen.“
„Ich zweifele nicht im Geringsten an Ihren Fähigkeiten“, versuchte Jane ihn zu beruhigen. „Aber was hätten Sie erreicht, wenn Sie sich auf einen Streit mit di Rossi eingelassen hätten? Er gehört zu einer der einflussreichsten venezianischen Familien. Ein Kampf mit ihm hätte äußerst unangenehme Folgen für uns.“
„Diese di Rossis sind ein Haufen Angeber!“, rief Richard aufbrausend. „Wir Farrens sind ihnen allemal gewachsen. Ich hätte diesem Schurken gezeigt, wie ein Engländer seine Ehre verteidigt.“
„Und genau deshalb“, erklärte Jane, „habe ich Ihnen im Theater nicht gesagt, wie unangenehm mir di Rossis Verhalten war.“ Ohne weiter darüber nachzudenken,
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