Venezianische Versuchung
noch immer zu beschäftigt mit all diesen Briefen und sonstigen Papieren, um sich eine Pause zu gönnen. Nun, dann würde sie sich eben ein Tablett heraufbringen lassen und allein in ihrem Schlafzimmer essen. Das hatte sie schließlich früher auch getan.
„Miss Wood!“ Die Signora eilte quer durch die Eingangshalle auf sie zu. „Wie gut, dass Sie zurück sind! Der Duke wartet seit einer Weile auf Sie und ist inzwischen ziemlich ungeduldig. Sie sollen sich umgehend bei ihm melden.“
„Ich begebe mich sofort zu ihm“, erwiderte Jane und versuchte, nicht darauf zu achten, dass das Herz ihr bis zum Hals schlug, weil sie sich so darüber freute, dass sie Richard offenbar gefehlt hatte. Während sie die Treppe hinauflief, zog sie die Handschuhe aus und steckte sie ins Innere des Muffs. Nach einem kurzen Blick auf die Tür ihres Zimmers entschloss sie sich, es gar nicht erst zu betreten. Gleich darauf stand sie vor den Räumlichkeiten des Dukes.
Sie hatte kaum geklopft, als die Tür auch schon geöffnet wurde. „Wo, zum Teufel, waren Sie, Jane?“, fragte Richard und schloss sie fest in die Arme. „Ich habe mir Sorgen gemacht und hätte Sie suchen lassen, wenn ich gewusst hätte, wen ich mit der Suche beauftragen sollte.“
„Ich war nie in Gefahr“, entgegnete sie. Weil sie das Gesicht an Richards breite Brust gepresst hatte, klang ihre Stimme ein wenig undeutlich. Wie gut es tat, in seinen Armen zu liegen! „Ich habe Ihnen doch schon erklärt, das Venedig tagsüber eine für Besucher vollkommen sichere Stadt ist.“
„Auf der ganzen Welt gibt es keinen sicheren Ort für eine ehrbare Frau“, sagte er entschieden. „Zudem hatte ich keine Ahnung, wo Sie sein könnten. Was hätte ich tun sollen, wenn dieser Schurke di Rossi Sie entführt hätte? Ich darf mir gar nicht vorstellen, was alles hätte passieren können!“
„Der hat mich bestimmt längst vergessen. Vermutlich schenkt er inzwischen einer anderen Frau seine Aufmerksamkeit.“ Sie löste sich aus Richards Umarmung und strich ihre Röcke glatt. „Auf jeden Fall schickt er mir keine Botschaften und Geschenke mehr, worüber ich sehr froh bin.“
„Ich auch“, stimmte Richard zu. „Von mir aus kann dieser Schuft auf kürzestem Weg zur Hölle fahren.“ Er trat einen Schritt zurück und begann, Jane gründlich zu mustern. Einen Finger hatte er an die Lippen gelegt, so als wolle er ein kleines Lächeln verbergen.
Jane wiederum war so von seiner herzlichen Begrüßung hingerissen gewesen, dass sie erst jetzt merkte, dass sie nicht allein im Zimmer waren. In einer Ecke standen Potter, Wilson und zwei Frauen, Ladeninhaberinnen oder Verkäuferinnen vermutlich. Alle beobachteten interessiert, was sich zwischen dem Duke und der Gouvernante abspielte.
Vor Scham darüber, wie sie sich verhalten hatte, errötete Jane. Verunsichert trat sie einen Schritt zurück. Bisher hatte sie kaum darüber nachgedacht, wie viel Potter und Wilson wohl über ihre Beziehung zu Richard wussten. Plötzlich jedoch fragte sie sich, was die beiden wohl darüber dachten, dass der Duke mit der ehemaligen Gouvernante seiner Töchter Zärtlichkeiten austauschte.
Himmel, sie hatte ja nicht einmal selbst eine Ahnung, welche Absichten Richard in Bezug auf sie wirklich verfolgte!
„Ich habe einige der Sehenswürdigkeiten besucht, Euer Gnaden“, sagte sie mit gespielter Ruhe. „Es war ein so schöner Tag, sonnig und mild, dass ich beinahe die Zeit aus den Augen gelassen hätte. Wenn es daheim in England so warm wäre, würden wir meinen, der Frühling sei da.“
„Ich habe nichts von alldem mitbekommen“, sagte Aston, „da ich den ganzen Tag am Schreibtisch verbracht habe. Wollen wir zum Dinner gehen? Sie können mir während des Essens ausführlicher von Ihren Unternehmungen erzählen.“
Lächelnd nickte sie. Er wollte also tatsächlich gemeinsam mit ihr speisen. „Ich glaube“, sagte sie, „in der Küche ist man noch nicht ganz fertig.“
„Oh, wir werden nicht hier essen. Ich habe andere Pläne. Und da ich sehr hungrig bin, sollten wir uns beeilen.“
„Ich werde mich sogleich umkleiden. Es wird nicht lange dauern.“ Sie wandte sich zur Tür.
„Halt, warten Sie, bitte! Im Nebenraum liegt ein Kleid für Sie bereit.“
„Aber, Euer Gnaden“, protestierte Jane. „Das ist sehr großzügig von Ihnen. Trotzdem … Ich muss das Geschenk ablehnen. Wie ich schon sagte, brauche ich keine vornehmen Kleider.“
„Heute Abend doch!“, erklärte Richard mit einem
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