Veni, Vidi, Gucci
postnatal.
Aber nicht in diesem Urlaub. Auf meinem Schoß liegt ein Album mit Schnappschüssen aus Disneyland Paris. Damals war Molly noch keine zwei Jahre alt. Ihr hat es gefallen, aber sie war damals noch sehr klein – sie wäre auch glücklich gewesen, hätte ich sie fünf Tage lang in ein aufblasbares Planschbecken gesetzt. Thomas dagegen hasste Disneyland. Gleich am ersten Tag wurde Richard und mir bewusst, dass wir einen großen Fehler begangen hatten. Die Attraktionen, die unseren Sohn interessierten, setzten alle eine bestimmte Mindestgröße voraus, und da Thomas ja so schmächtig war (und immer noch ist), musste er überall draußen bleiben. Er war damals sechs, fast sieben, wobei er tat, als wäre er siebzehn, und er hatte sich in den Kopf gesetzt, den Tod herauszufordern. Er wollte unbedingt in alle Richtungen geschleudert werden, kopfüber, kopfunter, nach links und nach rechts, und das mit mehreren hundert Stundenkilometern, biiitte. Die Fahrgeschäfte für die Kleinen, die Molly Jauchzer entlockten, ödeten Thomas an. Er wollte nicht von Mickey geknuddelt werden, nein danke, und er spuckte verächtlich auf den Boden, auf dem Minnie ging.
Dieser Urlaub war so schrecklich, dass ich mich beim Betrachten der Bilder unwillkürlich verspanne. Schnell umblättern und ... Schon besser. Portugal, zwei Monate später – ein Spontanurlaub, um den Reinfall mit Disneyland wiedergutzumachen. Dieses Mal gingen Richard und ich auf Nummer Sicher und suchten das beste und zugleich kinderfeundlichste Hotel aus, das wir finden konnten. Während die Kinder im hoteleigenen Kids Klub beschäftigt wurden, genossen Richard und ich unsere Freiheit wie zwei Junkies auf Turkey, die gratis mit Stoff versorgt werden. In dieser Woche waren wir ständig auf Achse. Wasserski, Windsurfing, Paragliding und ...
Großer Gott, ich kann nicht glauben, dass ich das getan habe. Aber das Foto ist der eindeutige und unwiderlegbare Beweis. Ich in T-Shirt und Shorts, die Arme weit ausgestreckt, über mir endlos blauer Himmel, unter mir – und zwar mindestens vierzig Meter unter mir – der Atlantik.
Ich bin in diesem Urlaub tatsächlich an einem Bungeeseil in die Tiefe gesprungen!
Richard und ich sind an diesem Tag an der Küste entlanggefahren, um irgendwo zu Mittag zu essen, und haben dabei zufällig die Sprungplattform über den Klippen entdeckt.
»Komm, lass uns kurz anhalten«, sagte Richard.
»Muss das sein?«, entgegnete ich. »Mir knurrt fürchterlich der Magen.«
Warum sollte ich Leuten, die dafür auch noch Geld bezahlten, dabei zusehen, wie sie sich von einer hohen Klippe herunterstoßen lassen, mit nichts weiter als einem dünnen Seil um die Füße gebunden? So sah es jedenfalls von weitem aus. Aber ich gab trotzdem nach. Wir hielten an. Nur um kurz zuzuschauen.
»Das müssen wir ausprobieren«, sagte Richard, kaum waren wir aus dem Wagen gestiegen.
»Unter keinen Umständen werde ich –«
»Es ist absolut sicher.«
»Nein, mein Lieber, es ist sicher, sich so was zu Hause im Fernsehen anzuschauen – vom sicheren Sofa aus.«
Aber Richard ließ nicht locker. Er bettelte und redete auf mich ein, wobei er sämtliche Register zog. Richard ist ein guter Verkäufer, und mir war klar, dass er so schnell nicht aufgeben würde.
Ich glaube, ich habe es aus einem schlechten Gewissen heraus getan. Richard wünschte sich so sehr, dass wir beide springen, und ich wusste, dass er es mit mir nicht immer leicht hatte – habe ich die postnatalen Depressionen bereits erwähnt? Wie auch immer, mich interessierte nur, dass ich zum ersten Mal seit Ewigkeiten – mag es an der Sonne, dem Meer, dem Sex (der Sex!) oder einfach an der Pause vom Alltag gelegen haben – das Leben in vollen Zügen genoss und nicht wollte, dass sich daran etwas änderte, nur weil ich vor einem harmlosen, kleinen Sprung kniff.
Also sprangen wir.
Richard war der Erste. Ich konnte nicht hinsehen. Ich machte die Augen erst wieder auf, als er zurück auf die Plattform gehievt wurde, bis zu den Schultern nass von einem kurzen Tauchgang im Meer, mit vor Begeisterung weit aufgerissenen Augen. Dann war ich dran. Es war das Aufregendste, was ich je getan habe. Gut, Richard und der Tod (der Typ, der die Show veranstaltete) mussten zuvor eine halbe Stunde lang auf mich einreden. Und letzten Endes mussten sie mich tatsächlich fast hinunterstoßen, weil die Leute hinter mir immer ungeduldiger wurden. (»Springst du jetzt endlich, oder was? Andernfalls verpiss dich
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