Veni, Vidi, Gucci
erwähne nicht, dass mir leicht übel ist – ich ahne nämlich, was gleich kommt.
»Wir haben neulich eine Kopie der amerikanischen Version erhalten. Der Hintergrundkommentar wird von Robin Williams gesprochen, und das macht den Spot aus. Williams ist wirklich große Klasse. Er wechselt nahtlos vom Asozialenslang einer amerikanischen Wohnwagensiedlung zur gebildeten Gelehrtensprache. Da kann man nur mit offenem Mund staunen. Wir müssen uns ganz schön ins Zeug legen, wenn wir da mithalten wollen, das kann ich dir sagen.«
Ich muss mich zusammenreißen. Ich weiß genau, was jetzt kommt. In meinem Kopf dreht sich alles. Chris’ Energie und Enthusiasmus machen mich ganz benommen.
»Jedenfalls ist genau das unser Problem, Fran. Der Hintergrundkommentar. Wir haben fünf bis sechs Synchronsprecher gehört, und wir dachten bereits, einen Treffer gelandet zu haben. John Sessions hat uns mit seiner Leseprobe sehr beeindruckt.«
»Oh ja, er ist richtig gut«, sage ich. Ich habe mal mit John zusammengearbeitet, daher weiß ich das.
»Tja, das dachten wir auch. Bis wir die Version mit Robin Williams gesehen haben. John kann da nicht mithalten, fürchte ich.«
Fürchtet er? Fürchte ich. Sehr sogar.
»Wir haben alle zum Vorsprechen eingeladen. Rory Bremner, Roni Ancona, Catherine Tate, Jon Culshaw ... Aber keiner davon hat richtig gepasst. Komm schon, Fran, du weißt, worauf ich hinauswill. Der Text ist wie für dich geschrieben.«
»Aber ich habe seit Jahren nicht mehr in meinem Beruf gearbeitet, Chris.«
»Oh, erspar mir diesen Mist. So ein Talent wie deins vergeht nicht mal so eben ...«
Ach nein?
» ... Du warst schon immer die Beste, und daran hat sich nichts geändert.«
Ach ja?
» Also, ja oder nein? Der Aufnahmetermin ist nächste Woche Donnerstag. Ich meine, du kannst natürlich ablehnen ... Aber wenn der braune Mob immer weiter wuchert und die Gesellschaft irgendwann völlig auseinanderfällt, bloß weil wir nicht in der Lage waren, einen annähernd so guten Synchronsprecher wie Robin Williams aufzutreiben, nun, dann hoffe ich, dass du mit deinem Gewissen leben kannst.«
Das war ein Witz, nicht? Natürlich war das ein Witz. Aber Chris meint es auch ernst: Ja oder nein?
»Und ...?«
»Und was?«, frage ich unnötigerweise. Aber ich versuche Zeit zu schinden.
»Du wirst uns doch nicht hängen lassen, oder?«
Ganz ehrlich, kann ich das wirklich? Zu meinem letzten Aufnahmetermin bin ich nicht erschienen. Dann habe ich Isabel und Harvey hängen lassen. Glaube ich wirklich ernsthaft, dass ich es mit einem Superstar wie Robin Williams aufnehmen kann ...?
Ich stehe auf einer winzigen Plattform, vierzig Meter über dem Meeresspiegel ...
»Es ist mir eine große Ehre, dass du mich fragst, Chris. Natürlich lasse ich dich nicht hängen.«
Chris stößt daraufhin einen Freudenschrei aus, und ich mache dasselbe – genau wie damals, als ich mich zum Atlantik hinunterstürzte.
9
S amstag. Es ist Viertel nach zehn. Wir sind spät dran - geht mir durch den Kopf. Um zwölf müssen wir in Beckenham sein. Wo zum Teufel ist das überhaupt? Ich meine in Kent. Aber ... äh ... wo ist Kent? Ich habe nicht einmal eine Ahnung, wie weit es bis Beckenham ist. Zum Glück kommt Richard mit. Er kennt sich aus. Aber wo bleibt er eigentlich? Allmählich werde ich nervös.
»Molly, zieh deine Schuhe an!«, schreie ich.
»Muss ich mit?«
»Oh, möchtest du lieber hier bleiben? Um das Haus mal ganz alleine für dich zu haben?«
»Darf ich?«, fragt Molly begeistert.
»Vergiss es. Zieh jetzt deine Schuhe an.«
Thomas - den man normalerweise nur mit Gewalt aus seinem Zimmer bekommt - ist seit Tagesanbruch auf den Beinen. Im Moment sitzt er im Garten und stimmt sich mental auf das Probetraining ein. Letzten Endes hat er sich doch für das Arsenal-Trikot entschieden, bis hin zu den Schienbeinschonern mit dem Autogramm von Thierry Henry. Es würde mich nicht wundern, wenn er in dem Outfit geschlafen hat – ich werde nachher mal checken, ob ich in seinem Bett Stollenabdrücke finde.
Ich sehe auf die Uhr. Es ist exakt eine Minute verstrichen, seit ich das letzte Mal einen Blick darauf geworfen habe. Verflucht, wo bleibt Richard? In diesem Moment höre ich, wie die Haustür aufgeschlossen wird, und ich lasse mich erleichtert gegen die Küchenanrichte sinken.
»Sorry, dass ich zu spät komme«, sagt Richard, als er die Küche betritt. »Aber die reißen gerade komplett eine Seite vom Broadway auf.«
»Können wir direkt
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