Veni, Vidi, Gucci
nichts, dessen ich mich schämen müsste. Ich brauche keinen Mann an meiner Seite. Ich komme mit diesen Weibern auch alleine zurecht, das weiß ich ...
Außerdem hat meine Mutter gestern Abend angerufen. Sie wird die Kinder früh am Sonntagvormittag zurückbringen und uns zum Schulbasar begleiten, was eine gute Sache ist, weil das bedeutet, dass ich diesen Hyänen nicht alleine gegenübertreten muss.
Nachdem ich wieder zu Hause bin, räume ich den Frühstückstisch ab, stelle die Waschmaschine an und mache mir anschließend einen Kaffee, wobei mir die ganze Zeit bewusst ist, dass ich das Telefonat nur hinauszögere. Aber nun fällt mir nichts mehr ein, um es weiter aufzuschieben. Also wähle ich Sureyas Nummer. Michael hebt ab.
»Danke, dass du die Mädchen genommen hast«, sagt er mit gezwungener Fröhlichkeit.
»Oh, war mir ein Vergnügen. Sie waren ganz brav, ehrlich.«
»Haben sie durchgeschlafen? Normalerweise tun sie sich immer schwer in einem fremden Bett.«
»Kein Problem. Sie haben geschlafen wie zwei Engel.«
»Gut ... Danke ...«
Ich höre einen Moment lang Michaels Atem.
»Möchtest du, dass ich die beiden vom Kindergarten abhole?«, frage ich. »Das macht mir nichts aus.«
»Nein, lass gut sein. Ich mache das. Ich habe mir freigenommen und ... « Er verstummt wieder.
»Wie geht es ihr, Michael?« Die einzige Frage, die mich beschäftigt.
»Keine Ahnung ... Furchtbar, wenn du die Wahrheit hören willst.«
»Soll ich nachher mal vorbeikommen? Und mit ihr reden?«
Ein Stoßseufzer, der Bände spricht, ohne jedoch auch nur ansatzweise die Trauer zu beschreiben, die Michael fühlen muss. »Großer Gott, Fran, ich weiß selbst nicht, was ich sagen soll. Was gibt es da schon zu sagen ...? Sie war noch so winzig. Und dann der kleine Sarg ...«
Michael versagt die Stimme. Der Arme. Wenn einer den furchtbaren Schmerz von Sureya nachempfinden kann, dann Michael, aber selbst er findet kein Mittel, sie zu trösten. Und wenn Michael keine Worte findet, wie soll mir das dann gelingen?
Aber es geht hier um Sureya, meine Freundin . Ich werde, entgegen meiner sonstigen Gewohnheit, nicht davonlaufen. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich das Richtige tun.
»Ich behalte die Zwillinge noch eine Nacht bei mir«, sage ich. »Damit ihr mehr Zeit habt.«
»Danke, aber nein, die eine Nacht ist genug. Die Kinder müssen wieder nach Hause. Außerdem glaube ich, dass es uns beiden im Moment ganz gut tun würde, mit den Kindern Zeit zu verbringen.«
»Ihr habt zwei unheimlich niedliche und aufgeweckte Töchter, Michael.«
»Allerdings, nicht wahr ...?«
Ich höre, wie ihm erneut die Stimme versagt.
»Okay, ich mach jetzt Schluss«, sage ich. »Wenn ich irgendetwas tun kann, ruf mich an. Versprich mir das.«
»Okay. Danke, Fran ... Du bist großartig, weißt du das ...?«
Nachdem Michael aufgelegt hat, quält mich der Gedanke, dass ich nicht mehr tun kann, als da zu sein, wenn die beiden mich brauchen. Und das ist nicht gerade viel, oder?
Als ich das Telefon weglegte, musste ich an Summer denken. Sie hatte noch nie so verzweifelt geklungen wie letzte Nacht bei unserem Telefonat. Im Moment befand sie sich wahrscheinlich gerade in achttausend Metern Höhe, auf dem Flug nach Hause, und zermarterte sich den Kopf wegen ihrer Schwangerschaft. Ich fragte mich, ob sie wusste, wie glücklich sie sich schätzen konnte, weil sie die Wahl hatte. Aber ich begrub den Gedanken gleich wieder. Der Vergleich war nicht fair – Summer ist nicht Sureya. Und das Letzte, was ein verzweifelter Mensch hören möchte, ist, dass es jemanden gibt, der noch beschissener dran ist – obwohl es diesen Jemand immer gibt.
An diesem Punkt musste ich mich von der schrecklichen Realität ablenken. Ich entfloh, indem ich mir das Arbeitszimmer vornahm, das dringend aufgeräumt werden musste – das Home Office, wie der Makler es genannt hatte. Ich kam nicht sehr weit. Als ich den ersten Schrank öffnete, fiel mir ein ganzer Stapel Fotoalben entgegen.
Die nun verstreut um mich herum liegen. Ich sitze auf dem Boden, eine Zigarette in der Hand, und betrachte glücklichere Zeiten. Fotos von Richard und mir als junges Paar, zusammen mit unseren Freunden, als das Leben eine einzige Party zu sein schien. Auf den meisten Bildern sind jedoch Thomas und Molly drauf, und es tut gut, sie zu betrachten. Sie erinnern mich nämlich daran, dass wir auch gute Zeiten hatten, nachdem die Kinder auf der Welt waren. Ich hatte durchaus auch Spaß,
Weitere Kostenlose Bücher