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Venice Beach

Venice Beach

Titel: Venice Beach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Besson
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erster Wunsch war, mich aus dem Staub zu machen, aber sein Körper verstellte mir den Weg. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Da beugte sich der hochgewachsene Mann zu mir herunter, legte eine Hand auf meine Wange, streichelte mich mit seinem Daumen und murmelte: »Das nächste Mal bittest du mich darum, und ich gebe dir welche.« Und er beugte sich noch ein wenig weiter herab und drückte einen Kuss auf meinen Mundwinkel. Dann legte er seinen Zeigefinger auf den Mund und machte »Pst«.
     
    Ich bin regelmäßig in den Laden von Mr Jansen zurückgekehrt. Jedes Mal schenkte er mir Süßigkeiten. Und jedes Mal küsste er mich oder bemächtigte sich meiner Schultern und massierte sie oder hob meinen Pulli hoch und streichelte mich. Es wurde allmählich unser Geheimnis. Ich habe es nie jemandem verraten. Ich spreche hier das erste Mal darüber.
     
    Warum erzähle ich diese Geschichte? Und warum gerade heute?
    Zweifellos um mir in Erinnerung zu rufen, dass ich schon einmal unsichtbare Grenzen überschritten hatte.
    Auch um daran zu erinnern, falls man nicht verstanden haben sollte, dass ich zu schweigen verstehe.
    Und weil ich an manchen Tagen dort nach einer Erklärung suche, wo sie bestimmt nicht zu finden ist.

 
    Ich warf rasch einen Blick auf die Terrasse hinter der Glasfront und auf den Swimmingpool. Der Ort sah verlassen aus. Keine rothaarige Magersüchtige weit und breit. Nur ein Bademantel, der auf den heißen Fliesen herumlag, und auf einem Gartentisch eine Zeitung, deren erste Seiten vom leichten Wind aufgeblättert wurden.
     
    Ich reichte Jack die Hand, um mich zu verabschieden. Ich rechnete damit, dass er mir auch die Hand geben und mich hinausbegleiten würde. Als er sie mir reichte, ließ der Druck jedoch nicht gleich wieder nach. Ich achtete daraufhin noch mehr auf seinen Gesichtsausdruck und entdeckte eine gewisse Traurigkeit, ja Verzweiflung. Die Angst der Kinder, die Angst, dass sie verlassen werden. Auch ihr Unverständnis. Den stummen Protest. Und dann kamen die Worte, seine Worte, ausgesprochen im Augenblick der Trennung.
     
    »Ich würde Sie gern wiedersehen.«
     
    Ich ließ meine Hand in der seinen, beging diesen verhängnisvollen Fehler. Ja, in dieser Sekunde, das steht fest, habe ich mein Todesurteil unterschrieben. Wenn ich sie reflexartig zurückgezogen hätte, meine Hand, wenn ich die seltsame Feierlichkeit und die seltsame Zärtlichkeit seinerFrage zurückgewiesen hätte, dann wäre es wahrscheinlich dabei geblieben. Denn der Zauber hätte sich auf der Stelle verflüchtigt. Der wortlose Dialog wäre abgebrochen. Aber die Sache ist nicht so gelaufen.
     
    Ich habe mich seinem Wunsch nicht verschlossen.
     
    Ich dachte: Er hätte andere Worte wählen können, mondänere, weniger kompromittierende. Er hätte sich auf ein »Ich bin sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, vielleicht wird sich eine Gelegenheit ergeben, sich wiederzusehen« beschränken können. Er hätte beiläufig äußern können: »Ich werde Sie also nicht mehr sehen?«, in der Hoffnung, Widerspruch zu erfahren. Aber nein. Er hat mich mit der vollendeten Tatsache konfrontiert, mit seiner Dreistigkeit. Hat mich gezwungen, blitzschnell zu entscheiden, wie ich mich verhalten will. Er hat alle Jetons in die Mitte des Tisches geworfen und das Roulette in Gang gesetzt, hat beobachtet, wie die Kugel abprallt, und gewartet, bis sie liegen bleibt, um festzustellen, ob er die Partie gewonnen oder verloren hat. Ich versuchte ein Ausweichmanöver, aber es war zum Scheitern verurteilt. In dieser Art Spiel gewinnt man oder verliert man. Es gibt keine Alternative, kein Dazwischen.
     
    »Sie müssen sich verdammt einsam fühlen, um Lust auf ein erneutes Treffen mit mir zu haben.«
     
    Ich bin überzeugt, dass mein Gesicht von einem armseligen Grinsen verzerrt war, während ich meine Erwiderung, die von boshafter, unpassender Ironie strotzte, von mir gab. Ich versuchte auf eine etwas schäbige Art auszuweichen,aber ich hatte bereits begriffen, dass ich nichts aufhalten würde, der Schuss war abgefeuert. Mein verzweifelter Humor ist nicht angekommen. Ich erhielt die Quittung für mein Ungeschick und meine Befangenheit. Prompt.
     
    »Ich glaube, dass Sie keine Vorstellung von meiner Einsamkeit haben.«
     
    Das war ein absichtlich melodramatischer, absichtlich übertriebener Satz. Es war auch eine halbe Lüge. Nein, Jack war kein einsamer Mensch. Er war sogar verdammt umschwärmt. Und es fiel mir nicht schwer, mir

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