Venus allein zu Haus
werden. Ich selber darf keinen einzigen Finger krümmen, obwohl ich das nur für recht und billig gehalten hätte. Schließlich war das ja mein Geburtstag.
»Nein, Helen, du ruhst dich einfach nur aus. Möchtest du vielleicht noch einen frisch gepressten O-Saft?« Warum eigentlich nicht?
»Hey, Schlafmütze, aufgewacht«, dringt eine mir vertraute Stimme an mein Ohr. Mühsam öffne ich die Augen. Ich muss kurz eingenickt sein. Neben mir auf dem Sofa sitzt Bernd. Was macht der denn hier? Das ist nicht seine Wohnung.
»Ach du, hallo«, nuschele ich, bevor mir einfällt, dass ich ja eigentlich böse auf ihn bin. Ich setze mein verschlossenstes Gesicht auf. »Was machst du denn hier?«, frage ich unfreundlich.
»Ich wollte mal nachsehen, wie es der kleinen Schnapsdrossel von gestern geht?«
»Pfffh«, mache ich und rücke ein Stück von ihm weg.
»Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«, fragt er unschuldig. Ist der wirklich so ahnungslos, wie er tut?
»Wenn du es genau wissen willst: DU!«, sage ich patzig.
»Ich?« Er guckt ehrlich erstaunt. Und so was will nun mein Freund sein. Vor meinem inneren Auge taucht wieder die Szene von gestern Abend auf, wie ich dastand, vor allen Leuten und, ja, nennen wir es doch mal beim Namen, bis auf die Knochen blamiert wurde.
»Wie konntest du das tun?«, fauche ich Bernd an, der erschrocken vor mir zurückweicht.
»Lenchen, was hab ich denn getan?«
»Wag es nicht, mich Lenchen zu nennen! Warum hast du das gemacht? Warum hast du mich gestern vor allen Leuten so bloßgestellt?« Die verdammten Tränen kommen, ohne dass ich es verhindern kann. »Du weißt genau, wie es mir geht. Du weißt, dass ich nicht dreißig werden wollte und du weißt, dass ich gerne verheiratet wäre. Und was machst du?« Ich schluchze so heftig, dass ich bezweifle, dass Bernd auch nur ein Wort von dem versteht, was ich sage. »Du machst dich über mich lustig. Was habe ich dir denn bloß getan?« Bernd sieht mich an, sein Gesicht spiegelt völlige Verwirrung. »Schau mich nicht so an«, schreie ich, »verschwinde!« Ich drehe mich von ihm weg und versuche, das Schluchzen in meiner Kehle wieder einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen. Aber Bernd geht nicht. Er fasst mich bei den Schultern und dreht mich zu sich herum:
»Helen, es tut mir Leid. Bitte glaub mir, ich wollte dich nicht verletzen.« Er zieht mich an sich, und obwohl ich ihn immer noch hasse, kann ich mich nicht dagegen wehren. Wie ein kleines Kind liege ich in seinen Armen und schluchze herzzerreißend. Ich fühle mich so furchtbar, dass ich denke, mein Leben ist zu Ende. Bernd wiegt mich beruhigend hin und her und spricht leise auf mich ein. Ich verstehe nicht, was er sagt, aber seine weiche Stimme tut
mir gut. Langsam geht mein Atem wieder ruhiger und ich weine nur noch leise vor mich hin.
»Tut mir Leid«, schniefe ich und will mich aus seiner Umarmung befreien, aber er lässt mich nicht weg.
»Gar nichts muss dir Leid tun«, sagt er und streichelt mir über den Kopf. Ich entspanne mich wieder und lasse mich gegen seine Brust sinken. Das tut so gut. »Es war wirklich nicht böse gemeint von mir gestern, ehrlich«, fährt er fort und plötzlich glaube ich das auch nicht mehr. Nein, Bernd mag mich. Er ist mein Freund. Er würde mir doch nie absichtlich wehtun. Ich habe einfach überreagiert. »Ich schwöre dir, mir ist das gestern plötzlich wieder eingefallen, was wir uns damals bei Vroni’s versprochen haben.« Unter Tränen muss ich lächeln. Stimmt, Vroni, so hieß die Besitzerin von der Almhütte.
»Waren wir damals noch jung«, flüstere ich wehmütig, »und naiv. Als ob das Leben so leicht wäre.« Während ich das sage, komme ich mir noch älter vor als ich bin.
»Wäre das nicht schön«, wispert Bernd mir ins Ohr.
»Ja, schön wär’s!« Dann spüre ich seine Hand unter meinem Kinn, und er hebt mein Gesicht zu sich empor, sodass er mich anschauen kann. Ich blinzele die letzten Tränen weg und versuche ein zaghaftes Lächeln, das mir aber sofort wieder entgleist, als Bernd sich plötzlich vorbeugt und seine Lippen auf meine drückt.
»Hey«, mache ich erschrocken und ziehe meinen Kopf zurück, »was machst du denn da?« Bernd lächelt ein wenig ironisch und antwortet:
»Wonach fühlt es sich denn an? Ich versuche, dich zu küssen.«
»Und warum, bitte schön«, frage ich, mir den Mund abwischend. Er beobachtet es und macht ein beleidigtes Gesicht. Da fällt es mir plötzlich wie Schuppen von
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