Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
verwischte und zu einer einzigen, regenbogenfarbigen Schliere wurde, die kakophonisch laut an ihr und um sie herum vorüber zog.
Erst als Hasdrubal antwortete, merkte die Königin, dass sie ihren Gedanken laut ausgesprochen hatte. »Habe ich auch nicht – ich verdränge es nur.« Der Karthager dachte an die Schlachten, die Kämpfe und das Blut. All die Vernichtungen und Toten, die es aufgrund politischer Entscheidungen in seinemmenschlichen Leben gegeben hatte. An die Intrigen, denen er und seine Familie mehr als einmal beinahe zum Opfer gefallen wären, und die Freunde, die er nicht hatte retten können. Obwohl er die Augen geschlossen hielt, war er sich sicher, dass Maeve ihn ansah und dass die Art seiner Erinnerungen deutlich in seinem Antlitz abgezeichnet war.
Maeves nächste Frage gab ihm Recht: »Welcher der vielen karthagischen Hasdrubals bist du eigentlich?«
Hasdrubal schluckte. So viele Jahre hatte er diese Frage ersehnt und gefürchtet zugleich, nun rief sie nur seinen Zorn hervor. Zu spät. Sie kam viel zu spät. Und Maeves sanfter Tonfall, der über die Lautstärke des Windes glitt wie eine Nacht aus Venusseide, machte ihm klar, dass sie es wusste.
»Hat Julius es dir nie gesagt?« Eine rhetorische Frage, mit der er sich keine Mühe gab, seine Wut zu verbergen. Derart abgelenkt verlief seine Landung in Ueçhisar etwas ruppig und nur durch jahrhundertelange Übung gelang es ihm, sowohl sein Gleichgewicht zu wahren als auch Maeve festzuhalten.
Wut tobte durch Hasdrubal, als Maeve nicht auf seine Anmaßung reagierte, sondern ihre Umgebung musterte. Nicht einmal auf Julius war sie eingegangen! Dabei hatte er immerzu gehofft, dass es Julius Tod gewesen war, der die Vampirkönigin in den Wahnsinn getrieben hatte. All die Jahrhunderte hatte Hasdrubal seine Loyalität auf Maeves Liebe zu seinem toten Bruder gebaut, doch nun war sie wieder gesund – und schien keinen Gedanken mehr an ihren einstigen Geliebten zu verschwenden.
»Nein.«
»Nein?!« Es dauerte einen Augenblick, bis er verstand, dass Maeve nicht auf seine Frage geantwortet hatte, sondern die Felsenwohnungen meinte. Ohne nachzudenken schwang er sich erneut mit ihr in die Höhe. Dieses Mal langsamer, denn das nächste Ziel lag in der Nähe, im Zelve-Tal.
»Nein.« Maeve hatte nur Sekunden gebraucht, um sich zu fangen und neu zu orientieren. Diesen Ort hatte sie noch nie im Leben gesehen. »Zumindest nicht aus dieser Perspektive.«
Hasdrubals Lächeln jagte ihr einen Schauer über den Rücken, doch bevor sie sich aus seiner Umarmung befreien konnte, hatte er mit ihr in den Armen ihren Standort gewechselt.
»Hier vielleicht?«
Ein erneuter Wechsel.
»Oder hier?«
»Hör auf«, verlangte Maeve, doch erneut hatte er zu einem sekundenlangen Sprung angesetzt.
»Gar nicht?!«
Bevor Maeve antworten konnte, waren sie bei den Felsenwohnungen in Göreme.
»Hier?«
»Oder hier?«
»Hier vielleicht?«
Maeve passte die nächste Landung ab und versuchte Hasdrubal mit einem Ellbogenstoß zur Räson zu bringen, doch der Karthager war zu schnell. Gleichzeitig ausweichend und sich wieder mit ihr in die Luft schwingend hatte er erneut den Ort gewechselt.
Doch auch die Höhlen von Matala kamen ihr nicht bekannt vor.
»Nein!« Erneut versuchte sie sich aus seinen Armen zu winden. Vergeblich.
»Können wir uns Amerika sparen?« Er weidete sich an ihrer Wut und daran, dass sie trotz ihres kampflustig erhobenen Kinns nichts gegen ihn ausrichten konnte. Es sei denn, sie legte es auf einen ernsthaften Kampf an.
»Wie soll ich nach Amerika gekommen sein?« Maeves Stimme war nur ein beruhigender Hauch, der seine Wirkung auf Hasdrubal verfehlte. So langsam begann ihm diese Suche Spaß zu machen!
»Oh … wir sollten keine Möglichkeit außer Acht lassen«, argumentierte er und drückte Maeve fester an sich, bevor er sich gemeinsam mit ihr in die Luft schwang. Die Welt gab unter seinem Willen nach und wurde eins mit seinem Ziel. Zwei Minuten später waren sie am Bandelier National Monument.
»Das ist albern.« Maeve weigerte sich den Canyon de Chelly anzusehen.
»Es ist eine Möglichkeit«, widersprach Hasdrubal. »Genau wie Montezumas Castle.«
Sekunden später starrte Maeve wütend auf das eben erwähnte Castle.
»Wie soll ich … mit ROTEN Haare und HELLER Haut und mit IRISCHEM Namen … hierhergekommen sein?«, fauchte sie.
»Du hast es selbst gesagt: Namen kann man ändern«, Hasdrubal ließ sich bei seiner Demonstration nicht irritieren, sondern
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