Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
Vampirkönigin geistlos geradeaus, ohne eine Reaktion zu zeigen.
Ihr Gesichtsausdruck enthielt eine Verzweiflung, die ihn schaudern ließ. So hatten Gefangene ausgesehen, nachdem sie tagelang gefoltert worden – und unter dem Druck geistig zusammengebrochen – waren.
Ein dumpfes Gefühl der Hoffnungslosigkeit machte sich in ihm breit. Maeve war der Schlüssel zur Unsterblichkeit der Vampire. Wenn sie nicht mehr sie selbst war, sich nicht erinnern konnte, gab es keinen Weg mehr für ihn, den Vampiren zu helfen. Dann gab es nur noch eine Möglichkeit: Die Auslegung der Vampirbibel, an die er nicht mehr glaubte. Den Tod des zweiten Zwillings!
Er könnte es jetzt tun. Maeve stand schutzlos vor ihm, ohnehin nur noch eine leere Hülle. Hasdrubal streckte die Hand nach ihr aus und nichts geschah. Keine Magie, kein unsichtbarerer Schutz. Er strich über die rechte Wange und den Hals der Vampirkönigin, und noch immer tat sich nichts.
»Julius!« Das Wort kam aus Maeves Mund, doch die Stimme klang anders als zuvor, als käme sie aus dem dritten Kreis der Hölle und hätte nur noch bedingt etwas mit Leben zu tun. Es schockierte ihn mehr als ihr Anblick und unwillkürlich drehte er sich um, um zu sehen, was die Vampirkönigin wahrnahm.
Ein junges Pärchen, beide kaum älter als zwanzig, war aus einer nahe gelegenen Gaststätte getreten und spazierte Hand in Hand durch die Dunkelheit. Touristen, die Zuflucht und Authentizität in einer einheimischen Spelunke gesucht und gefunden hatten. Beide torkelten leicht und strömten einen Geruch aus, der auf lieblichen Rotwein hindeutete. Hasdrubal lenkte sein Augenmerk auf den Jungen. Seine Haare erinnerten an Julius, goldblond, allerdings lockig statt glatt, dochaußer seiner leicht gebräunten, goldig schimmernden Haut sah er Julius nur sehr entfernt ähnlich.
Offensichtlich sah Maeve – oder das, was von ihr übrig war – das anders. Ihre Haltung hatte sich gestrafft und eine Aura verführerischer Willenskraft ließ ihre Haut silbrighell schimmern. Menschlich und äußerst anmutig stolzierte sie durch die Nacht auf ihr auserwähltes Opfer zu.
Schlagartig musste Hasdrubal an all die Jünglinge denken, die sie getötet hatte. Scheinbar wahllos auserwählt, hatten sie doch alle eine gewisse Ähnlichkeit mitseinem Bruder gehabt. Plötzlich wusste er, dass er sie endgültig verlieren würde, wenn sie erst wieder von einem ihrer goldenen Jünglinge getrunken hatte.
»Oh nein!« Mit einem Satz überholte er seine Königin und versperrte ihr den Weg.
Ohne ihn zu registrieren, glitt sie an ihm vorbei, vollkommen auf ihr Ziel fixiert. Inzwischen hatten auch die beiden Sterblichen das seltsame Paar erblickt und, von Maeves Anmut in den Bann geschlagen, sahen die beiden ihr entgegen.
Der Gesichtsausdruck des jungen Mannes veränderte sich von alarmiert über besorgt zu interessiert. Als die Königin direkt vor ihm stehen blieb, spiegelte sich nur noch pure Lust in seinem Blick wider. Eine Antwort auf ihre Ausstrahlung.
Die Frau, betrunken oder nicht, erkannte die Gefahr. Wenn nicht für ihr Leben, so doch für ihre Beziehung. Sie zog am Arm ihres Freundes und flüsterte ihm zu, zu verschwinden. Er rührte sich nicht.
Hasdrubal begriff, was geschehen würde. Er legte Maeve eine Hand auf die Schulter und wirbelte sie herum.
Sie schlug so schnell zu, dass er trotz des Altersunterschieds nicht in der Lage war, den Schlag abzuwehren. Verwirrt und innerlich zerschmettert fand er sich an der nächsten Häuserwand wieder. Just in dem Moment, als Maeve ihre Hand nach dem jungen Mann ausstreckte und seine Freundin anfing, beide anzukeifen.
Es war zu spät! Er würde ihr nicht helfen können.
»Julius!« Eine plötzlichen Eingebung folgend, hallte seine Stimme kalt und grausam von den Steinwänden der verwinkelten Gassen wider und das eine Wort brachte Maeve zum Stoppen.
»Ich bin Julius!«, behauptete Hasdrubal, ignorierte seine gebrochenen Knochen, die sich langsam wieder zusammenfügten und rappelte sich auf.
Maeve drehte sich um und starrte ihn an, während der Junge hinter ihr wieder zur Besinnung kam. Hasdrubal gab ihm und seiner Freundin mit einer Geste zu verstehen, dass sie verschwinden sollten und die Freundin war geistesgegenwärtig genug, augenblicklich Folge zu leisten.
Auf einer sehr tiefen Ebene, außerhalb der bewussten Wahrnehmung musste Maeve begriffen haben, dass er nicht Julius war, denn sie wimmerte leise. War es Schuld, die sie zermarterte? Oder der Verlust?
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