Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
Freundes und neben der Trauer über den Verlust fühlte er etwas anderes in seinem Inneren langsam und endgültig brechen: Hoffnung.
Erst als er die Feuchtigkeit auf seinen Wangen fühlte, begriff er, dass er weinte. Um seinen Freund, die Vampire und um Judith und Joline. Obwohl sich Joel an das Wissen um Magnus’ Güte klammerte, daran, dass der Bruder der Vampirkönigin immer nur die besten Absichten hatte und stets wusste, wie man ein Spiel zu seinen Gunsten manipulierte, gelang es ihm erst nach Minuten, sich selbst zu überzeugen. Wie viel länger würde Judith brauchen, um diesen neuen Verlust zu verkraften?
28
Hasdrubal verlagerte sein Gewicht, als sich die Vampirkönigin neben ihm aufsetzte. Er war bereit, sie jederzeit wieder festzuhalten und zu beschützen – notfalls auch vor sich selbst. Doch ihr wacher und intelligenter Gesichtsausdruck, auf dem ein erleichtertes Strahlen lag, war mehr, als er nach ihren erneuten Julius-Rufe ertragen konnte.
»Was ist damals geschehen?« Die Frage war ihm entschlüpft, bevor der Karthager sie verhindern konnte. Direkt aus seinen Gedanken in seinen Mund.
Maeve blinzelte verwirrt und rückte ein Stück von ihm ab, während sie versuchte, Hasdrubals Frage einem Ereignis zuzuordnen. Doch alles, woran sie denken konnte, rührte an unangenehmen Erinnerungen – und ging ihn nichts an.
Hasdrubal konnte an Maeves zusammengepressten Lippen erkennen, dass er keine Antwort erhalten würde. Es war ihre typische Art, ein Problem zu verdrängen. Sobald etwas unangenehm wurde, schwieg der rothaarige Engel oder gab vor, nichts zu wissen. Tatsächlich starrte sie ihn auch dieses Mal mit ihrer üblichen Mischung aus Geduld, Sanftheit und Wissen an und wirkte trotz ihrer Nähe unerreichbar. So einfach würde er es ihr dieses Mal nicht machen!
Hasdrubal ballte seine Hände zu Fäusten. Obwohl er seine Wut auf Maeve begründen konnte, entsprang sie nicht nur seinen eigenen Gefühlen, sondern auch dem Wissen um die Sterblichkeit der Vampire. Alles, was Maeve verschwieg, betraf nicht mehr nur sie allein. Aber er durfte nicht bei ihren Träumen anfangen, bei ihrer unberechenbaren Umnachtung. Er musste zurück zum Schlüsselmoment, dem Auslöser der Sterblichkeit und ihrer Heilung vom Wahnsinn. In Gedanken formulierte er die Frage um. Die Vampirkönigin würde sie ihm beantworten müssen, ohne Ausflüchte und ohne sich herausreden zu können. Er wollte die Wahrheit wissen, nicht das, was alle Vampire glaubten.
»Was ist in Edwards Audienzsaal geschehen?«
Maeve wich seinem Blick aus und weigerte sich ganz offensichtlich, ihm zu antworten. »Wer hat Morna getötet?«
Maeves Augen brannten förmlich vor unterdrückter Wut, als sie sich ihm endlich zuwandte. »Ich!«
Diese einfache Wahrheit schockierte Hasdrubal. Er hatte Morna gehasst und für geisteskrank gehalten – für wahnsinniger als ihre umnachtete Schwester – aber sie hatte ihre Zwillingsschwester aufopferungsvoll geliebt.
»Warum?«
Hasdrubal konnte Maeves Trauer erkennen, den schmalen Grat zwischen Wahnsinn und Realität, der hinter Maeves Augen, in ihrer Seele, auf die Königin lauerte. Trotzdem war ihre Haltung königlich und ihre Worte duldete keinen Widerspruch: »Das geht dich nichts an!«
Hasdrubal rückte näher an sie heran und griff nach ihrem Kinn. Sanft zwang er sie dazu ihn anzusehen. Wohl wissend, dass sein Griff eine Machtdemonstration war, eine Drohgebärde. Konnte er es tun? Hier und jetzt, ohne Antworten erhalten zu haben? Die Antwort war Nein. Nicht ohne Antworten, vielleicht nie. Er ließ seine Hand von ihrem Kinn gleiten.
»Warum jetzt? Warum glaubst du, jetzt das Recht auf Fragen und Antworten zu haben?« Ihre Fragen waren nur ein Hauch und die Sanftheit in ihrem Blick gab ihm den Rest.
Hätte sie ihn mit Anklagen überhäuft oder einen Wutanfall bekommen, hätte er sie gezwungen zu antworten. So fühlte er sich schuldig, weil er sie an Ereignisse erinnerte, die sie emotional noch nicht verarbeitet hatte. Er wandte sich zum Aufstehen ab. Doch Maeve hielt ihn mit einem Griff auf seine Schultern zurück. Hasdrubal verharrte reglos, starrte bloß auf die Hand, die ihn berührte. Eine sehr schmale, kleine Hand, die ihn daran erinnerte, wie viel größer er war, wie viel mächtiger. Die Vampirin schien ähnlich zu denken, denn sie ließ ihn los.
»Entschuldige!« Ihre Stimme klang bekümmert.
Hasdrubal ließ sich wieder auf dem Boden nieder. Er erinnerte sich an seine Reaktion, als sie ihn das letzte
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