Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
Tagen am Kreuz hatte er aufgehört, nach Gründen zu fragen, vergessen nach Antworten zu suchen, verbrannt von der glühend heißen Sonne, verdurstend und zu schwach, die Ursache seines Leidens weiter zu verfluchen. Erst dann war sie gegangen, hatte ihn sterben lassen; jämmerlich und allein, bis Magnus gekommen war. Ausgerechnet! Joel hatte es nicht für möglich gehalten, doch der Fakt, dass ausgerechnet Magnus ihn an eine Hexe verraten hatte, schmerzte beinahe noch mehr als der von Magnus‘ Hexentochter. War nicht nachvollziehbar, nicht entschuldbar.
»Wie konntest du mir das antun?«, formulierte Joels Mund tonlos und obwohl er Magnus meinte, schaffte er es doch, mit diesem lautlosen Satz Judiths Erklärung zu unterbinden. Er wollte sie auch nicht hören, keine Erklärung, keine Verteidigung, keine weiteren Lügen.
»Ich habe es nicht gewusst!«
Joel schüttelte den Kopf. So ehrlich, so unschuldig – und so verdammt verlogen. Dieselbe Unschuld hatte Claire ausgestrahlt, bevor sie ihn an ihrer statt ans Kreuz der Inquisition geliefert hatte, dieselbe Ehrlichkeit Morna, wenn sie versprach, was sie nie zu halten gedachte. Erst im zweiten Moment begriff Joel, dass sich Judiths Worte nicht nur auf ihre Hexenfähigkeiten bezogen, sondern auch auf Claire und seine Vergangenheit. Sie musste das Wissen direkt aus seinen Gedanken und Erinnerungen gestohlen haben. Ein Fakt, der ihn – zusammen mit ihrem verständnisvollen und mitleidigen Blick – noch wütender machte.
»Hexe!« In dem einen Wort klang alles mit, was er empfand. Wut, Abscheu, Angst und Selbstzweifel.
»Joel, bitte!«
Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort und mit einer anderen Vergangenheit, hätte ihn Judiths Gesichtsausdruck gerührt und ihn beeinflusst, doch hierund jetzt überlagerte eine andere Stimme Judiths flehentliches »Joel, du musst das verstehen!« und katapultierte ihn direkt in seine Vergangenheit. Sekunden, bevor sie ihn wegen Claires Beschuldigungen verurteilt, gefesselt und den ersten Nagel durch seinen Körper getrieben hatten.
»Nein!« Er verstand nicht und wollte es auch gar nicht, wich einen weiteren Schritt zur Seite aus und ignorierte die Hand, die Judith nach ihm ausstreckte. Er würde nicht noch einmal denselben Fehler machen und auf Liebe, Gerechtigkeit und ein gutes Ende hoffen.
»Verdammt noch mal, du hast mit keinem Wort gesagt, dass ein Elixier ist!« Judith war versucht auf den Vampir einzuschlagen, selber zu aufgebracht über die Erkenntnis, dass sie WUSSTE, wo das Elixier war – und darüber, dass ihr Vater so weit gegangen war.
»Und Artabanos weiß vielleicht, wo Joline ist!«, brachte sie das einzige Argument vor, das vielleicht noch eine Chance hatte, durch Joels Wut zu dringen.
»Melanie«, die Stimme des blonden Vampirs, der sich immer noch nicht von Artabanos’ Angriff erholt hatte, war nur ein leiser Hauch. Joel schien ihn nicht einmal zu hören.
»Wir verfolgen ihn!«, beschloss Judith, als sich der dunkelhaarige Herr der Schatten nicht äußerte, ja nicht einmal mehr bewegte.
Doch plötzlich lachte er los, bitter und enttäuscht. »Und dann?« Seine Stimme klang aufgebracht. »Was dann? Er ist der älteste bekannte Vampir. Du hast doch seine Macht gespürt.« Er schwieg einen Moment lang und über seine Gesichtszüge schien sich ein dunkler Schatten zu schieben. »Vielleicht mit Maeve und Hasdrubal …«
»… vergiss Hasdrubal«, Xylos setzte sich auf, gleichzeitig auf sein inneres Auge konzentriert, um bei seiner Gefährtin zu sein, wie auf Joel und Judith. »Hasdrubal ist ein Verräter – und Maeve wahrscheinlich längst tot.«
Joel schüttelte den Kopf. Auf einmal wieder ganz der Führer von Maeves elitären Bodyguards. »Unmöglich.«
»Möglich und unglaublich.«
Kurz maßen sich die Blicke der beiden Vampire, dann nickte Joel. »Zu Maeve!«
Judith griff nach ihm, bevor er fort konnte und ihre Berührung genügte, um das schwache Schild der Rationalität wieder zu zerbrechen.
»Fass mich nicht an! Fass mich nie wieder an!« Joel trat einen Schritt zurück. Hatte Judith vor ihrem Liebesgeständnis immer wieder irrtümlich vermutet, dass er sie mit Abscheu und Ekel im Gesicht betrachtete, gab es nun kein Vertun mehr. Nie wieder würde sie diesen Ausdruck vergessen, ihn nie wieder ausihrem Herzen verbannen können. Er schnitt tief durch ihre Gefühle, bis auf den Boden ihrer Seele, und auch wenn sie wusste, dass es um Claire ging, nicht um sie, dass Joel bald – vielleicht –
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